Manuskript

Schneeschuhwandern in der Schweiz

Es hat einen meditativen Charakter: sich mit Schneeschuhen in der tiefverschneiten Welt der Schweizer Berge fortzubewegen. Geführte Touren helfen Unerfahrenen, sich zurechtzufinden.


Arvenbüel liegt gut 1.200 Meter über dem Meeresspiegel. Im Ortsteil des Dorfes Amden in den östlichen Schweizer Voralpen oberhalb des Walensees herrscht noch tiefster Winter. Das Wintersportgebiet liegt etwa eine Autostunde von Zürich entfernt. Ich bin mit Werner Honegger verabredet. Der pensionierte Ingenieur führt hier regelmäßig Gruppen auf Schneeschuhen durch die Natur – wobei „Schneeschuhe“ ein leicht irreführender Begriff ist. Denn es handelt sich um ein Hilfsmittel, in das man mit festen, also geschlossenen, guten Halt gebenden Schuhen, hineinschlüpft. Die Schneeschuhe verhindern mit ihren großen Auftrittsflächen, dass man im Schnee versinkt. Werner Honegger ist heute mein Guide für meine allererste Schneeschuhtour. Bevor es losgeht, kontrolliert er meine Kleidung: Winterjacke, Snowboardhose und Wanderschuhe:

„Also, das ist mal von den Schuhen [her], da haben Sie jetzt gute Schuhe. Es gehen prinzipiell feste Wanderschuhe, und ich hab jetzt aber Winterschuhe. Die Kleidung kann man wie [für] Skitouren [üblich verwenden], wind- und wasserabstoßend. Was sich nicht eignet, sind Jeans. Weil die können nass werden und dann friert man.“

Schneeschuhe und für so eine Wanderung notwendige spezielle Stöcke leihe ich im Sportgeschäft aus. Weil die Stöcke nämlich im Tiefschnee versinken, müssen sie etwas länger sein. Die flexiblen Bindungen der Schneeschuhe lassen sich einfach an meine Schuhgröße anpassen. Noch Mütze und Sonnenbrille aufgesetzt, dann geht’s los. Gleichmäßig knirscht es unter unseren Schneeschuhen. Schritt für Schritt stapfen wir durch die tief verschneite Winterlandschaft. Zunächst geht es bergauf durch ein Waldstück, dann durch eine Lichtung und schließlich quer über eine Alm. Eine kurze Verschnaufpause nutze ich, um meinen Begleiter auszufragen. In den 1990er-Jahren hat er mit dem Schneeschuhlaufen angefangen. Seitdem lässt es Werner Honegger nicht mehr los und er begründet, warum:

„Also für mich speziell in der freien Natur, abseits dem großen Tourismus, in der Ruhe. Und man kann irgendwo auch sitzen bleiben an einem schönen Platz, grad wenn die Sonne scheint. Und einfach die Umgebung genießen.“

So gern er mit Gruppen unterwegs sei, so sehr liebe er es auch, allein loszuziehen: „Dann ist das Wandern auf einer Spur und so durch die Natur für mich wie eine Meditation. Wo man seinen Gedanken nachhängen kann, man lauscht aber doch immer, hört man oder sieht man etwas von der Natur.“

Für Werner Honegger ist es schön, auch mal allein durch die Natur zu laufen, nicht zu reden, sondern über manches nachzudenken, den eigenen Gedanken nachzuhängen, vielleicht einer Tierfährte, einer Spur, zu folgen. Für ihn ist das wie eine Meditation, bei der man sich in sich selbst versenkt und zur Ruhe kommt. Es dauert nicht lange und ich entdecke im Schnee auch Fährten von Tieren. An einer anderen Stelle hat ein Bergbach ein Loch in die meterdicke Schneedecke gefressen. Von der Anhöhe lassen wir den Blick schweifen – von den Gipfeln der umliegenden Berge hinunter zum Tal. Der Wind pfeift. Dann stapfen wir weiter durch den Schnee. Mehr als eine Stunde sind wir allein unterwegs. Doch dann begegnen wir drei anderen Schneeschuhläufern. Die Frau und die beiden Männer sind auch begeistert vom gemächlichen Wandern durch die weiße Landschaft:

„Das ist wunderschön, und weil man so unberührt die Natur hat, dann schwebt man hinunter. Wunderschön! / Letzte Woche waren wir bei minus 13 Grad unterwegs. Bei blauem Himmel. Und das war fantastisch! / Es gefällt mir besser als so Langlaufskifahren, weil man ist hier einfach, ja, variabler und kann also wunderschöne Strecken machen, halt eben, und hier gibt’s auch viele Strecken, die man auch laufen kann und wo’s einfach traumhaft ist. Es ist also wirklich wie in ’ner Traumwelt.“

Schneeschuhwandern hat im Gegensatz zum Skilanglauf, dem Vorwärtsgleiten mit speziellen Skiern im Schnee, manche Vorteile: So muss man nicht unbedingt Ski fahren können. Schneeschuhwandern kann auch bei jeder Schneedicke und Schneeart betrieben werden, also auch, wenn der Schnee sehr fest und hart ist. Und man ist flexibel, variabel, nicht so davon abhängig, ob das Gelände steil ist oder Loipen präpariert sind. Wir verabschieden uns von den drei Schneeschuhläufern und treten den Rückweg an. An einer Stelle geht es recht steil bergab. Werner Honegger empfiehlt mir eine spezielle Schritttechnik:

„Wenn’s steil runtergeht und im Tiefschnee, dass man mit der Ferse zuerst eintaucht, und dann gibt das wie einen Tritt, wo man so wie eine Treppe runterlaufen kann.“

Tiefschnee, pulverähnlicher, hoher Schnee, der meist noch nicht betreten wurde, sorgt dafür, dass man mit den Füßen tief einsinkt. Durch die von Werner Honegger empfohlene besondere Schritttechnik tritt man den Schnee fest und schafft so eine Art Stufe, einen Tritt. Nach gut zweieinhalb Stunden erreichen wir den Ausgangspunkt unserer Tour. Mein erstes Schneeschuherlebnis ist zu Ende. Ich bin mächtig verschwitzt und etwas k. o.; Schneeschuhlaufen ist schön, aber durchaus anstrengend. Insofern bin ich eigentlich ganz froh, dass ich meine Schneeschuhe nun wieder abschnallen kann. Den Schnee von seinen Schneeschuhen abklopfend gesteht mir mein Tourguide Werner Honegger, ihm gehe es ganz ähnlich:

„Ich genieße das Laufen, aber dann ist’s auch schön wieder, wenn man am Ziel ankommt.“

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