Drechseln – ein Handwerksberuf sucht Nachwuchs
Drechseln ist eine alte Handwerkskunst, die viel Fingerspitzengefühl erfordert. Doch sie hat Nachwuchsprobleme. Einer der ganz wenigen Betriebe, die in Deutschland noch ausbilden, findet sich in Bremen.
Wie das Tischlern und das Schreinern gehört auch das Drechseln zu den Handwerksberufen, die in Deutschland eine lange Tradition vorweisen können. Doch wie so mancher andere traditionelle Handwerksberuf hierzulande kämpft auch er ums Überleben. Gerade noch 100 Drechslereien gibt es derzeit in Deutschland, gerade mal vier von ihnen bilden überhaupt noch Nachwuchs aus. Wer sich für eine Ausbildung als Drechsler oder Drechslerin interessiert, muss daher örtlich flexibel sein – und wirklich dafür brennen, Gegenstände an einer Drehbank in Form zu bringen, egal, ob es sich um kleine Teile wie Schubladenknöpfe handelt oder ganz große wie Treppengeländer und Teile für den Schiffsbau. Das Ausgangsmaterial ist meist Holz, kann aber beispielsweise auch Elfenbein, Kunststoff oder Metall sein. Entsprechend kann sich ein Drechsler, eine Drechslerin auch spezialisieren.
Der Betrieb von Hans-Peter Schöner in Bremen gehört zu den wenigen Betrieben, die noch ausbilden. Und dafür kommt der eine oder die andere sogar von weit her – wie die Japanerin Takayo Miura, die 2015 extra für diese Ausbildung nach Deutschland umzog, weil sie die europäische Technik lernen wollte. Gerade steht sie vor einer besonderen Herausforderung, erklärt Hans-Peter Schöner:
„Takayo hat noch ’ne kleine Spezialaufgabe. Da war auch ein Kunde da, der will noch zwei Sofafüße haben.“
Takayo soll auf Wunsch eines Kunden Füße für ein altes Sofa nachdrechseln. Sie spannt ein Stück Holz in die Drehbank ein. Beim Drechseln, oder auch Drehen, wird dort das Ausgangsmaterial, der Rohling, horizontal zwischen zwei Halterungen, den Reitstock und den Spindelstock mit der Arbeitsspindel, gespannt. Auf die beiden Stöcke werden noch Aufsätze montiert. Beim Reitstock ist es die Körnerspitze, die das Holzstück festhält, an der Arbeitsspindel der Mitnehmer, der mithilfe seiner Zacken das Werkstück in Bewegung setzt. An der Wand hängen griffbereit die unterschiedlichen Werkzeuge, die Takayo braucht. Hans-Peter Schöner erklärt:
„Das ist jetzt eine Schruppröhre, hier zum Beispiel. Also das Holzstück ist jetzt zwischen Körner und Mitnehmer eingespannt auf der Drechselbank. Jetzt werden die Ecken erstmal weggeschruppt mit der Schruppröhre. Da fliegen auch schön die Späne.“
Das Werkstück wird jetzt in mehreren Arbeitsgängen in seine Form gebracht. Zunächst wird die Kontur erstellt, die Ecken weggeschruppt, grob abgerieben, abgehobelt. Das besorgt die Schruppröhre, ein breites, halbröhrenförmiges Metallwerkzeug. Danach wird mit einer schmaleren Röhre die Feinarbeit gemacht. Jede Menge Holzspäne, kleine, dünne Streifen, landen auf Takayos Arbeitsjacke, ihren Händen und Haaren. Die Augen sind durch eine Brille geschützt. Während sich Takayo um die Sofafüße kümmert, steht Hans-Peter Schöner selbst auch an der Maschine:
„Das gibt ’n paar Tischbeine für einen Kunden. Der kommt aus Süddeutschland, und der hat in der Dimension Tischbeine bei sich dann nicht gefunden in der Nähe, und so ist er zu uns gekommen.“
Mit 1500 Umdrehungen pro Minute dreht sich der Rohling in der Drechselmaschine um seine eigene Achse. Die Maschine arbeitet millimetergenau. Doch kann man da wirklich noch von Handwerk sprechen, wenn eine computergesteuerte Maschine die Arbeit macht? Sicher, meint Hans-Peter Schöner:
„Die Maschine fertigt die [Teile] praktisch vor. Aber sie müssen trotzdem alle von Hand noch geschliffen werden oder an verschiedenen Stellen nachgearbeitet [werden], weil die Maschine es nicht so sauber abdrehen kann.“
So präzise und fein wie mit der Hand wird das Holzstück dann von der Maschine doch nicht bearbeitet, abgedreht. Deshalb muss es noch mit entsprechenden Werkzeugen geglättet, nachgeschliffen werden. Zum Beweis nimmt Drechsler-Meister Hans-Peter Schöner eine fertige Gewürzmühle in die Hand. Die vierkantigen Holzstücke haben sich in eine Kugel mit makelloser Oberfläche verwandelt. Bei der Auswahl des Holzes geht er nicht immer danach, was ihm persönlich selbst gefallen würde, sagt er:
„Wenn es nach mir ginge, ich würde natürlich das eine oder andere gerne aus ’nem Exotenholz machen, weil das eigentlich von der Farbe sehr viel schöner ist als die einheimischen Hölzer, die wir haben. Interessanter. Aber ich muss mich natürlich nach dem Kundenwunsch richten. Und zu 90 Prozent verarbeiten wir heimische Hölzer: Buche, Eiche, Esche. Da oben haben wir zum Beispiel Hainbuche – ’n sehr harte Buche. Die wird gerne für Werkzeuggriffe genommen. Ja und ansonsten normale europäische Eiche für Treppenstäbe oder Tischbeine.“
Eigentlich würde Hans-Peter Schöner gern auch mal Exotenholz verarbeiten, Holz, das aus Südamerika, Südostasien oder Afrika stammt. Denn es hat eine auffällige Maserung und besondere Färbung. Doch es ist auch deutlich teurer. Für einen Kubikmeter Buchenholz zahlt der Drechsler 600 bis 700 Euro; für Teakholz etwa mehr als das Zehnfache. 80 Prozent der Aufträge, erzählt er, kommen mittlerweile übers Internet. Aus Berlin etwa orderte ein Kunde 1000 Gewürzmühlen, bestehend aus jeweils vier Holzteilen, die auf der Drehmaschine geschnitten und gehobelt werden. 2019 hat Hans-Peter Schöner seine neue Werkstatt bezogen. Die alte war zu klein geworden. Die neue Halle bietet so genügend Platz auch für größere Aufträge:
„Das sind so Teakholz-Rahmen für ein Kreuzfahrtschiff. Da haben wir auch Handläufe gemacht. Das war für irgendeinen Scheich die Yacht. Da sollte der Handlauf so aussehen wie ’n geflochtenes Seil.“
Und derartige Spezialarbeiten wie etwa ein seilähnlicher Handlauf, der obere Abschluss eines Treppengeländers, können nur Drechslerinnen und Drechsler ausführen. Denn sie fertigen Unikateoder hochwertige Exponate in Kleinserie. Einige seiner handwerklichen Highlights hat Schöner in einer Glasvitrine ausgestellt: Wasserpfeifengriffe, eine Espresso-Tasse, die bei Harrods in London zum Verkauf angeboten wurde, Vorratsdosen für die Küche, angefertigt aus einem Stück Esche, Fahrradlenkergriffe aus Birkenrinde. Und natürlich die kugelförmige Gewürzmühle. Über fehlenden Nachwuchs kann Hans-Peter Schöner nicht klagen. Der nächste freie Ausbildungsplatz ist längst wieder besetzt:
„Wir haben den Bonus, sage ich mal, dass wir einen etwas außergewöhnlicheren Beruf haben. Und die Leute, die diesen Beruf gerne lernen wollen, die kommen auch wirklich von weit her. Ich hatte schon zwei Auszubildende, die einfach von 200, 300 km weg herkamen, um diesen Ausbildungsberuf zu lernen und sind dafür dann auch umgezogen.“
Obwohl er nur noch einer der wenigen ist, die die alte Handwerkskunst hochhalten, ist Hans-Peter Schöner vor der Zukunft nicht bange. Er sieht es sogar als Bonus, als Vorteil an. Auch weil es immer Kundinnen und Kunden für ausgefallene Holzarbeiten gibt – selbst wenn sie hierfür ein wenig tiefer in die Tasche greifen müssen.