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Manuskript

Die letzte Fahrt: zum Friedhof mit dem Lastenrad

In der Schweiz ist es ein Novum: das Bestattervelo. Ein Berner Unternehmen will damit das Thema Tod und Sterben enttabuisieren. Doch nicht alle Hauptstädter finden das gut – trotz des umweltfreundlichen Transportmittels.

Diejenigen, die umgangssprachlich ihre ‚letzte Fahrt antreten‘, erleben das selbst nicht mehr. Denn diese Fahrt findet meist in einem Leichenwagen statt. Das schwarze Fahrzeug bringt den Sarg mit der oder dem Verstorbenen zur letzten Ruhestätte, dem Ort der Beisetzung. In der Regel übernimmt das ein Bestattungsunternehmen, das von den Angehörigen mit der Abwicklung der Beisetzung beauftragt wurde. In der Schweizer Hauptstadt Bern und Umgebung lässt sich diese ‚letzte Fahrt‘ nun auch umweltschonend absolvieren. Ein Berner Bestatter hat ein speziell für den Leichentransport umgebautes Lastenrad angeschafft.

Das ungewöhnliche Gefährt hat drei Räder, einen übergroßen weißen Kastenvorbau und natürlich eine Klingel. Und es sorgt für Aufmerksamkeit. Denn wenn der Bestatter Gyan Härri mit diesem ganz besonderen Velo – so werden Fahrräder in der Schweiz genannt – auf den Straßen von Bern unterwegs ist, dann fällt das auf. Es erinnert an Lastenräder, die zum Waren- oder Kindertransport verwendet werden. Nur ist es mit gut 3,50 Meter deutlich länger – eben ausreichend lang, um einen Sarg damit transportieren zu können. Doch von einem normalen Lastenrad unterscheidet es sich auch noch durch etwas anderes, erläutert Gyan Härri:

„An den Ecken haben wir kleine Laternen mit Kerzen drin, die wir – wenn wir jemand abholen – anzünden können, auch wenn wir auf dem Friedhof sind oder so weiter.“

Das Bestattervelo ist eine Sonderanfertigung. Es bringt 400 Kilo auf die Waage – im vollbeladenen Zustand. Deshalb gibt es einen Elektromotor zur Unterstützung des in die Pedale tretenden Bestatters. Von hinten sieht es wie ein E-Bike aus. Vor dem Lenker sitzt der auf zwei Autorädern montierte, mit Planen geschützte Aufbau und den beiden kleinen, mit Kerzen bestückten Laternen. Gyan Härri will das Rad nach dem Tod eines Menschen genauso einsetzen wie die Leichenwagen, die es in seinem Bestattungsunternehmen Aurora auch weiterhin gibt:

„Wenn der im Spital oder im Altersheim gestorben ist und zum Beispiel noch zu Hause aufgebahrt werden soll, dann holen wir ihn dort ab, wo er gestorben ist und bringen ihn dorthin, wo die Aufbahrung stattfinden soll. Es kann aber auch sein, dass der Sarg bei der Trauerfeier dabei sein soll, was in der Schweiz weniger üblich ist als in Deutschland, oder dass man mit dem Fahrrad auch direkt ans Grab fahren soll.“

Vor einer Beerdigung kann von der oder dem Toten noch Abschied genommen werden. Dafür wird der Sarg mit dem Leichnam an den gewünschten Ort gebracht und steht für einen begrenzten Zeitraum mit geöffnetem Deckel dort. Aus hygienischen und ästhetischen Gründen wird der Leichnam allerdings vorher einer speziellen Behandlung unterzogen: Er wird einbalsamiert, um den Verwesungsprozess zu verzögern, und durch eine kosmetische Behandlung so wiederhergestellt, als ob er noch leben würde. Ferner trägt er die Kleidung, die die Hinterbliebenen dem Bestatter, der Bestatterin zur Verfügung gestellt haben. Anders als in der Schweiz ist es in Deutschland üblich, dass der Sarg bei der Trauerfeier, die vor der Beisetzung stattfindet, mit im Raum steht.

Für das Berner Bestattungsunternehmen ist der ungewöhnliche Leichentransport mehr als ein Werbegag. Es hofft auf einen offeneren Umgang mit dem Thema Tod. Das Rad ist so konstruiert, dass der Sarg entweder ganz diskret von den Planen verdeckt werden kann oder für alle sichtbar durch die Straßen rollt. Die Hinterbliebenen könnten sogar dabei sein, sagt Gyan Härri:

„Natürlich können die Leute mitfahren mit dem Fahrrad, auf dem Friedhof auch zu Fuß mitgehen, und das führt dann zu einem lebensbejahenden Ritual, welches den Angehörigen sicherlich lange [in Erinnerung] bleiben wird.“

Das Bestattungsfahrrad ist in der Schweiz ein Novum. In anderen Ländern – etwa in Dänemark – werden bereits seit einigen Jahren Lastenräder für die letzte Fahrt von Verstorbenen eingesetzt. 2020 sorgte in Oldenburg der Künstler Michael Olsen mit der gleichen Idee für Aufmerksamkeit. Er konstruierte ein Bestattungsfahrrad, das regionale Bestatter jederzeit anfordern können. Auf diesem stehen die Särge ganz offen, sichtbar für alle, auf der vor dem Lenker angebrachten Ladefläche. Damit wolle er, sagt Olsen, das Sterben und den Tod aus seiner düsteren Nischeans Licht holen. Genauso sieht es auch Gyan Härri:

„Ganz, ganz selten werden wir wirklich mitunserem eigenen Tod konfrontiert. Und ich denke so Mord und Todschlag in Krimis oder auch in den Nachrichten, das berührt einen nicht auf dieselbe Art, wie wenn es so nahe kommt wie mit diesem Bestattervelo, wo man zum Nachdenken angeregt wird, wo vielleicht auch erst mal jemand etwas perplex ist.“

Es gab den Vorwurf, das Lastenrad als Sargtransporter sei pietätlos und makaber, erzählt der Bestatter, aber die überwiegende Zahl der Reaktionen sei positiv ausgefallen. Und schließlich passt das Velo auch zum Netzwerk „Bärn treit („Bern trägt“) – gemeinsam bis zuletzt“. Ihm gehören unter anderem Firmen, kulturelle Organisationen, Schulen und religiöse Institutionen an. Diese finden, dass Betreuung und Pflege am Lebensende in der Verantwortung aller und nicht nur in der des Staates und von Gesundheitsorganisationen liegen sollte. Schirmherr und Stadtpräsident Alec von Graffenried bekräftigt, dass man in Bern einen „unverkrampfteren und offeneren Umgang mit dem Sterben und dem Tod“ praktizieren wolle.

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