Sport im digitalen Zeitalter
Fitness-Apps, Sport mit Spielekonsolen und Virtual Reality: Das digitale Zeitalter ist auch im Sport angekommen. Doch kann virtueller Sport den realen in Zukunft ersetzen?
„‚Sport‘ – entlehnt aus dem Englischen, ohne Plural, ist eine aus Freude an der Bewegung und dem Spiel ausgeübte körperliche Bewegung zur körperlichen Ertüchtigung.“ So weit die Wortdefinition. Sport ist etwas Physisches. Man schwitzt, verausgabt sich und hat anschließend ein gutes Gefühl, für sich und seine Gesundheit etwas getan zu haben. Doch längst verändert die digitale Revolution auch den Alltag von Sportlerinnen und Sportlern. Fitnesstracker sammeln und erheben alle möglichen Daten, beispielsweise wie weit und schnell man gelaufen ist und wie viele Kalorien man verbrannt hat. Per Knopfdruck können Trainingserfolge auch in sozialen Netzwerken geteilt werden. Fitness-Apps, Spielekonsolen und Virtual Reality-Brillen bringen den Sport auch in die heimischen vier Wände.
Für manche Sportarten gibt es besondere digitale Angebote. Beispielsweise können professionelle Rennradfahrer*¹ seit ein paar Jahren mit Rollentrainern eines US-amerikanischen Anbieters trainieren. Dabei sitzt der Fahrer auf einem in Trainingsrollen eingespannten Rennrad, blickt auf einen Monitor mit einer virtuellen Rennstrecke und Landschaft und steuert seinen Avatar. Dieser kann sich auch gegen virtuelle Gegner behaupten. Die aufgewendete Energie wird vom Rollentrainer gemessen. Das Gerät ist über eine Drahtlosverbindung mit einem Computer verbunden; die Daten fließen in Echtzeit ins Internet, um schlussendlich den Sieger zu ermitteln. Dass man auch dabei ordentlich ins Schwitzen kommen kann, bestätigt die Amateur-Rennradsportlerin Lisa:
„Tut weh, [aber] danach fühlt man sich gut, vielleicht nicht währenddessen. Ich fahr’ schon gerne draußen. Das ist sicherlich nicht zu ersetzen. Aber bei null Grad und Nieselregen ist das wahrscheinlich doch die angenehmere Variante.“
Rund 12.000 Kilometer fährt sie im Jahr auf dem Rennrad – und immer mehr davon virtuell auf der Rolle. Denn bei kaltem Wetter und Nieselregen, einem feinen, dichten Regen, macht das Outdoor-Training weniger Spaß als das im Trockenen. Außerdem hat Lisa die Möglichkeit, sich mit anderen direkt zu messen, ohne unbedingt an einem Wettkampf teilnehmen zu müssen. Doch macht die Digitalisierung den Sport sozialer – oder doch eher nicht? Für den Sportwissenschaftler Billy Sperlich hängt die Antwort von der persönlichen Einstellung ab:
„Es gibt durchaus Personen, die brauchen ein soziales Netzwerk oder eine Motivation quasi von außen, um sich mit anderen zu messen. Und für die sind solche sozialen Netze in spezialisierten Fitness-Apps beispielsweise ’n guter Einstieg oder tatsächlich die Möglichkeit, um das sportliche Treiben dann weiterzuführen. Aber es gibt durchaus auch Personen, die wollen das nicht und die brauchen das auch nicht. Also, da wird’s wahrscheinlich eher in Zukunft zwei Lager geben, die aber beide ’ne gewisse Berechtigung haben.“
Der eine geht lieber zum Training in seinen Sportverein oder ins Fitnesscenter, wo er neben dem Training soziale Kontakte pflegt, der andere betreibt seinen Sport lieber daheim – dann, wenn es gerade in seinen Tagesablauf passt. Er steht aber vielleicht mit anderen über soziale Netzwerke in Verbindung. Für Anfänger sind bestimmte digitale Angebote ein guter Einstieg, etwas, was ihnen dabei hilft, mit einer bestimmten Sportart zu beginnen, ohne Trainer. Denn die gesammelten Daten sorgen für das persönliche Feedback. Andere brauchen das nicht. Je erfahrener jemand ist, umso weniger wird er sich, so Billy Sperlich, auf Technologie verlassen. Zurückhaltend ist der Sportwissenschaftler bei der Frage, ob „echte“ Trainer aus Fleisch und Blut überflüssig werden, weil gesammelte persönliche Daten im Prinzip deren Job machen:
„Also aktuell definitiv noch nicht. Was die Zukunft bringt, mit groß angelegten Datensätzen, mit Künstlicher Intelligenz, soweit möchte ich mich zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich nicht aus dem Fenster lehnen. Fakt ist aktuell, weil die Messgenauigkeit der Daten und auch die Auswahl der Daten vielleicht für die jeweilige Sportart und für die jeweilige Person nicht ausreichend ist, bin ich zum jetzigen Zeitpunkt ziemlich sicher, dass es günstiger wäre, wenn man die Daten in Kombination mit ’nem erfahrenen Trainer diskutiert und dann weitere Schritte oder Maßnahmen einleitet, um die Fitness zu verbessern.“
Ob die Datenanalyse durch intelligente Computerprogramme, durch Künstliche Intelligenz, einen „echten“ Trainer ersetzen kann, möchte Billy Sperlich derzeit nicht sagen. Er will sich dabei nicht aus dem Fenster lehnen, eine gesicherte Aussage treffen. Für ihn persönlich haben Tipps und Erkenntnisse von Trainern aus Fleisch und Blut durchaus ihre Vorteile. Dass man allerdings alle Angebote, die virtuell stattfinden, ernst nehmen sollte, steht für den Sportwissenschaftler außer Frage:
„Es handelt sich tatsächlich, je nachdem wie es betrieben wird, um Leistungssport. Ob das unserem klassischen Verständnis von Sport [entspricht], ob man das komplett Indoor machen muss und in ’ner digitalisierten Welt, das hängt von den jeweiligen Nutzern ab, wie sie das interpretieren und wie sie das für sich wahrnehmen. Aber Fakt ist, wir müssen das sicherlich ernst nehmen, weil ich vermute, dass es in Zukunft deutlich zunehmen wird.“
Die Digitalisierung erobert also zunehmend einen Lebensbereich, in dem klassisch seit dem Altertum körperliche Aktivität, Wettkampf, Spiel vorherrschend waren, der völkerverbindend ist, Gruppenfähigkeit und soziale Kompetenzen fördert – und das in einer analogen, realen Welt. Doch wird Sport künftig nur noch in einer digitalen Welt stattfinden, der klassisch betriebene komplett verschwinden? Sperlichs Kollege Lars Donath von der Deutschen Sporthochschule in Köln hat darauf eine klare Antwort:
„Soziale Interaktion, der Austausch von Schweiß, von Blick, von Gerüchen, das ist sicherlich was, was das virtuelle Miteinander-Sport-Treiben nicht ersetzen kann. Aber grundsätzlich hab’ ich die Chance, mich mit vielen Menschen auf der Welt zu vernetzen, also interkulturell auch Sport zu machen und auch den Kompetitionsrahmen zu vergrößern. Das ist erst mal grundsätzlich ’ne Chance. Aber insgesamt denke ich, wird es immer beide Formen auch des Sports geben: den virtuellen Sport als Erweiterungsform, aber auch den analogen Sport, so wie wir ihn schätzen und mögen, insbesondere wenn es darum geht, im Eins-zu-Eins gegeneinander anzutreten.“
Die Bedeutung der Digitalisierung im Sport wird wachsen. Denn bestimmte Charakteristika des realen Sports erfüllt auch die neue Art des Sporttreibens – zum Beispiel, sich mit anderen zu messen. Allerdings ist es durch die weltweite Vernetzung möglich, den Kreis der Gegner zu erweitern, den Kompetitionsrahmen zu vergrößern. Und anders als beispielsweise im Sportverein ist das Sporttreiben in einer digitalen Welt zeitlich und räumlich ungebunden – das trifft den sportlichen Zeitgeist. Doch sich mit jemandem aus Fleisch und Blut persönlich und direkt, eins gegen eins, zu messen, die Anstrengung zu spüren, den Schweiß zu riechen, das können virtuelle Figuren und Künstliche Intelligenz nicht leisten. Noch nicht.