Manuskript

Telefonseelsorger

Viele Menschen wissen in Lebenskrisen oft nicht weiter. Dann sind sie froh, wenn es jemanden gibt, der ihnen zuhört und mit Ratschlägen weiterhilft. Das ist die Hauptaufgabe von ausgebildeten Telefonseelsorgern.


Ein offenes Ohr haben für die Sorgen eines anderen und nicht verurteilen – manchen Menschen fällt das im Alltag schwer. Es gibt allerdings Menschen, die diese Aufgabe beruflich übernehmen: die Telefonseelsorger und -sorgerinnen. Sie arbeiten ehrenamtlich im Auftrag der evangelischen und katholischen Kirche. Nicht jeder kann eine derartig belastende Aufgabe übernehmen. Und deshalb wird trotz des großen Bedarfs an ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern längst nicht jeder genommen, sondern es wird sehr genau hingeschaut, wie der Diplom-Theologe und Leiter der Abteilung Telefonseelsorge in der Erzdiözese München und Freising, Alexander Fischhold, sagt:

„Deswegen wählen wir einfach sehr gut aus und schauen wir, dass wir Mitarbeiter finden, die zu uns passen und wo wir zu denen passen, wo wir wirklich ’nen guten Eindruck haben, dass die nach der Ausbildung, die ja auch ’n ganzes Jahr lang dauert, ein gerütteltes Maß an Kompetenz haben, um diesen Dienst gut machen zu können.“

Alexander Fischhold, der fünf Jahre lang Leiter der Katholischen TelefonSeelsorge München war, erklärt, dass diejenigen, die als Telefonseelsorgerinnen und Telefonseelsorger arbeiten wollen, zunächst eine entsprechende Ausbildung machen sollten. Sie müssen ein gerütteltes Maß an Kompetenz erwerben, das nötige Fachwissen, um ihre Arbeit, ihren Dienst, gut ausüben zu können. Die Redewendung „gerüttelt Maß“ wird immer dann verwendet, wenn man ausdrücken will, dass es sehr viel von etwas gibt oder sehr viel notwendig ist.

Mehr als 100 Telefonseelsorgestellen gibt es in Deutschland. Die erste Stelle wurde Mitte der 1950er Jahre in Berlin gegründet. Unter festen Telefonnummern, die für ganz Deutschland gelten und kostenfrei sind, kann Tag und Nacht angerufen werden. Die eigene Identität braucht dabei keiner preiszugeben. Außerdem gibt es die Möglichkeit, sich im Internet-Chat der jeweiligen Stelle auszutauschen. Gabi machte eine Ausbildung zur ehrenamtlichen Telefonseelsorgerin. Die gelernte Sozialpädagogin hospitierte dafür bei den haupt- und nebenberuflichen Mitarbeitern der Katholischen TelefonSeelsorge München. Was sie daran reizte, begründet sie so:

„Ich kann da sein für Menschen, und das ist was sehr Wertvolles. Es gibt eben Gespräche, nach deren Ende das Gefühl ist: ‚Okay, es ist gut gelaufen. Ich hab’ einem Menschen zuhören können und auch etwas dazu sagen können.‘ Es gibt andere Fälle, wo ich’s nicht genau weiß. Aber Sie können auch – und das haben wir auch in unserer Ausbildung gelernt – am Telefon, auch wenn Sie den Menschen nicht sehen, sehr, sehr viel mitbekommen und erspüren.“

Für Gabi ist das Besondere an ihrer Arbeit, dass sie anderen helfen, für sie da sein kann. Allerdings weiß sie nicht immer, ob ein Gespräch mit einem oder einer Hilfesuchenden erfolgreich war, ob es gut gelaufen ist. Denn anders als bei einem persönlichen Gespräch, bei dem sich zwei Personen gegenüber sitzen und sich ansehen, kann man am Telefon nur die Stimme hören. Gabi hat jedoch die Erfahrung gemacht, dass auch eine Stimme Gefühle transportieren kann und man so fühlen, erspüren, kann, ob das Gespräch etwas bewirkt hat. Gründe für einen Anruf bei der Telefonseelsorge gibt es viele. Manchmal sehen sich Ratsuchende in einer emotional so belastenden Situation, dass sie meinen, keinen Ausweg zu sehen. Das kann bis zu Selbstmordgedanken reichen. An einen Anruf einer suizidgefährdeten Frau kann sich auch Gabi noch gut erinnern:

„Es ist gut ausgegangen für dieses Mal, weil, als sie von ihren Enkeln und Enkelinnen erzählte, konnte das Gespräch gewendet werden in dem Sinne, dass sie sagte: ‚Hm, vielleicht kann ich dann noch beim Schulanfang dabei sein. Das dauert noch drei Jahre.‘ Und sie hat sich am Ende bedankt und hat gesagt: ‚Ich danke Ihnen sehr, dass Sie nicht den Satz gesagt haben, den ich sehr oft höre, denn dann hätte ich sofort aufgelegt, wenn Sie gesagt hätten: ‚Das wird schon wieder.‘“

Gabi konnte der Frau helfen. Das Gespräch ist – wie sie sagt – gut ausgegangen. Schlecht ausgegangen wäre es, wenn Gabi die Hilfesuchende mit einer allgemeinen Floskel, einer nichtssagenden Redensart wie: „Das wird schon wieder!“ abgespeist hätte. Dann hätte die Hilfesuchende das Telefongespräch beendet. Durch solche Erfolgserlebnisse sieht sich Gabi in ihrer Arbeit bestätigt. Abgesehen davon investiert sie aber auch viel Zeit. Daher rät sie jedem, der sich die Mitarbeit in der Telefonseelsorge vorstellen kann, in Ruhe darüber nachzudenken:

„Schauen Sie sich das erst mal ganz sachlich an: ‚Hab’ ich diese Zeit?‘ Und das andere ist, was ganz wichtig ist: ‚Bin ich dazu bereit, in Offenheit ans Telefon zu gehen, auch von verschiedenen Lebensentwürfen zu hören, die nicht meine sind, und trotzdem tolerant damit am Telefon umgehen zu können?‘ Und bin ich auch dazu bereit, dass ich mich auch selber mit verändere, etwas in Frage stelle, vielleicht an meinem Leben auch was verändere?“

Selbst wenn man gerne anderen helfen will, sollte man es sich genau überlegen, sagt Gabi. Man müsse bereit sein, seine private Zeit dafür zu verwenden. Außerdem müsse man gewillt sein, sich auf die Lebensplanung, den Lebensentwurf, des oder der Hilfesuchenden einzustellen. Dieser Lebensentwurf muss nicht unbedingt mit dem  übereinstimmen, den man selbst gut findet – egal, ob es sich um die Vorstellung handelt, die jemand von seinem eigenen Leben hat, oder die Ziele, die jemand verfolgt, oder auch seine oder ihre moralischen Werte. Toleranz ist also gefragt, nicht nur gegenüber dem anderen, sondern auch sich selbst gegenüber. Wer Telefonseelsorge betreibt, muss willens sein, auch neue Ansichten kennenzulernen und sogar seine eigenen Sicht- und Verhaltensweisen in Frage zu stellen, zu hinterfragen, ob sie angemessen und richtig sind. Toleranz, Zuhören, Einfühlungsvermögen, aber auch Belastbarkeit und Selbstständigkeit sind in diesem Bereich absolut notwendig. Denn das Schlimmste, das Fatalste, was laut Alexander Fischhold passieren könnte, ist Folgendes:

„Nichts Fataleres kann ich mir vorstellen, als einen Mitarbeiter nachts um drei allein am Telefon sitzen zu haben, und der ist total überfordert und weiß überhaupt nicht, was er tun soll.“

Die Arbeit nicht zu unterschätzen und sich doch gut in ihr aufgehoben zu fühlen – das wünschen sich die Förderer sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telefonseelsorge. Der Anspruch ist, wie es bei der Telefon SeelsorgeMünchen heißt, dass „aus Tränen Perlen werden können“.

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