Theater in Deutschland
Fast jede größere Stadt in Deutschland bietet Kulturinteressierten die Möglichkeit, ins Theater zu gehen. Die öffentliche Finanzierung macht es möglich. Das Theaterleben an sich ist aber nicht immer so glamourös.
Rund 140 Bühnen gibt es in Deutschland, Stadt- und Staatstheater sowie Landesbühnen, die von der öffentlichen Hand finanziert werden. Sie erhalten Geld aus Steuermitteln. Hinzu kommen mehr als 200 Privattheater, 130 Musikorchester und mehr als 70 Festspiele. Darüber hinaus existiert eine Vielzahl an freien Gruppen, die das Theaterleben in der Bundesrepublik bereichern. Die Theater, die mit Steuergeldern finanziert werden, und eine große Zahl der privaten Theater sowie Musikorchester sind im „Deutschen Bühnenverein“ organisiert. Der Bundesverband bemüht sich seit seiner Gründung 1846 darum, das kulturelle Leben in Deutschland zu erhalten und zu fördern. 1990, mit der deutsch-deutschen Wiedervereinigung, schlossen sich der Bühnenverein und der Deutsche Bühnenbund, in dem die Intendanten der damaligen DDR vertreten waren, zusammen. Eine nicht ganz einfache Aufgabe, sagt Rolf Bolwin, Jurist und bis Ende 2016 geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins:
„Sie müssen sich ja vorstellen, dass es in der DDR auf der einen Seite eine Theaterlandschaft gegeben hat, die sehr ähnlich war mit der der Bundesrepublik Deutschland. Ein Ensemble-, ein Repertoire-Betrieb war dort genauso üblich wie hier. Aber natürlich hatte sich dort innerhalb von fast 50 Jahren eine andere Gesellschaftsordnung ausgeprägt, und als die Vereinigung kam, mussten diese Theater doch herangeführt werden an die Bundesrepublik Deutschland, an die Rechtsordnung hier, an das, was hier üblich ist.“
Zwar ähnelten sich die Theater diesseits und jenseits der deutsch-deutschen Grenze: In der damaligen DDR gab es – wie in der Bundesrepublik auch – Ensembles, feste Gruppen von angestellten Schauspielerinnen und Schauspielern, die ein Repertoire hatten, eine Anzahl von Bühnenstücken, die sie über mehrere Monate oder Jahre spielen können. Die Theaterlandschaft, die Vielfalt an Bühnen, war ähnlich. Der große Unterschied war allerdings, dass diese Bühnen tief im gesellschaftlichen und politischen System des kommunistischen Staates verankert waren. Staatliche Behörden sowie die Sozialistische Einheitspartei SED bestimmten und kontrollierten weitgehend, was gespielt wurde. Die Eintrittspreise waren niedrig, weil sie staatlich subventioniert wurden. Eintrittskarten wurden in Schulen, Betrieben und Verbänden kostenlos verteilt, um jedem den Theaterbesuch zu ermöglichen. Nach der Wiedervereinigung 1990 ging es dann darum, so Rolf Bolwin, das, was in der DDR üblich war, mit bundesdeutschem Recht in Einklang zu bringen. Die politische wie die kulturelle Vereinigung hatte natürlich auch einen Wandel der Wahrnehmung zur Folge, erinnert sich Rolf Bolwin:
„Der Blick der Zeit vor 1989 war in allen Bereichen in Deutschland auf die Bundesrepublik gerichtet, das heißt, wenn wir über deutsches Theater redeten, dann redeten wir natürlich in der Bundesrepublik über das Theater der Bundesrepublik; die Menschen in der DDR redeten natürlich dann auch über das Theater in der DDR. In der Zeit davor muss man natürlich sagen, was die Bundesrepublik angeht, waren das rosige Zeiten. Wirtschaftlich ging es dem Land relativ gut, das Steueraufkommen war hoch, und was, glaube ich, besonders wichtig war in den Jahren vor allem vor der Vereinigung: Es gab nie eine grundsätzliche Debatte darüber, inwieweit eigentlich die öffentliche Hand Theater und Orchester finanzieren soll. Das geht ja in der Bundesrepublik Deutschland – genauso wenig wie in anderen Ländern – nicht ohne öffentliches Geld.“
Für Rolf Bolwin stellen sich die Jahre vor 1989 als besonders glückliche Jahre, als rosige Zeiten, dar, weil die öffentliche Finanzierung der deutschen Theater außer Frage stand. In den Jahren nach der deutschen Vereinigung musste – wie in allen Bereichen öffentlicher Ausgaben – auch im kulturellen Sektor gespart werden. Daran schloss sich eine nach wie vor anhaltende Debatte darüber an, wie viel öffentliche Gelder überhaupt in kulturelle Betriebe fließen sollten. Und das hat natürlich immer Auswirkungen auf die Beschäftigten. Denn Personalkosten machen nach Angaben des Deutschen Bühnenvereins rund 73 Prozent der Gesamtausgaben öffentlich getragener Theaterbetriebe aus. Künstlerinnen und Künstler sind in der Regel nur für einen befristeten Zeitraum bei Theatern oder Opernhäusern beschäftigt, engagiert. Unbefristete Verträge sind selten geworden. Dabei schafft es nicht jede und jeder, „auf den Brettern zu stehen, die die Welt bedeuten“. Und wenn doch, ist es nicht unbedingt das glamouröse Leben, das manche sich vorstellen. Die Opern-, Lied- und Konzertsängerin Marlis Petersen hat trotz ihrer Begeisterung für Gesang und Schauspiel eine eher nüchterne Sicht auf ihr Künstlerinnendasein:
„Heute habe ich manchmal den Eindruck, dass das Theater oder auch die Oper so was ist wie ’ne Alltagsarbeit auch, wie wenn man ins Büro geht oder in die Bank. Sagen wir mal so, wenn man fest engagiert ist an einem Haus, dann ist das so. Gut, wenn man natürlich reist und noch ein bisschen riecht vom Starrummel und so, dann kann man sich ungefähr vorstellen, wie das früher war. Aber ich glaube, die Generation, in der ich groß geworden bin, die Sängergeneration, die ist ganz was anderes, das ist so eher wirklich ein ganz normaler Beruf auch.“
Nach Ansicht von Marlis Petersen haben sich die Zeiten im Vergleich zu früher geändert. Egal, ob man Theater spielt, vor der Kamera steht, als Sängerin in einer Oper auftritt oder in einem Orchester spielt: Es bedeutet ganz normale Alltagsarbeit, besonders für diejenigen, die ein festes Engagement an einem Haus, einem Theater oder einer Oper, haben. Nur wenige können ein bisschen vom Starrummel riechen, erfahren, was es bedeutet berühmt zu sein und im Rampenlicht zu stehen.
Ein weiterer Aspekt, der neben dem Geld eine Rolle spielt, ist das Publikum. Denn Theater und Opernhäuser in Deutschland haben nicht nur damit zu kämpfen, dass jüngere Leute eher weniger Interesse zeigen. Sie müssen auch mit anderen Freizeitangeboten konkurrieren wie etwa Fernsehen, Kino und einem breiten Sportangebot. Auch das Internet hält mehr und mehr Menschen in den eigenen vier Wänden. Nach Ansicht von Marlis Petersen haben Theaterbetriebe aber etwas, das kein anderes Medium zu bieten hat: einen Live-Charakter. Dieser hat allerdings, wie die Sopranistin sagt, auch ein Nachteil:
„Klar, man möchte ja auch das Publikum erfüllen, man möchte die faszinieren, aber es gelingt natürlich nicht immer, weil: man ist ja auch Stimmungen unterworfen, ja. Man ist mal nicht so gut drauf an dem Tag und muss trotzdem abends versuchen, 100 Prozent rüberzubringen. Der Beruf ist nach wie vor sehr, sehr schwer, und manchmal hab ich das Gefühl, dass das Publikum das gar nicht so weiß, was wir investieren.“
Manchmal jeden Tag auf der Bühne zu stehen, und das immer mit einem vollen, einem 100 Prozent-Einsatz, ist nicht einfach. Auch Künstlerinnen und Künstler sind, so Marlis Petersen, Stimmungen unterworfen, werden beeinflusst von Gefühlen. Ärger, Trauer und Krankheit können beispielsweise dafür sorgen, dass man mal nicht so gut drauf ist, sich nicht gut fühlt. Künstlerinnen und Künstler sind halt eben auch nur Menschen – mit dem Unterschied, dass sie ihr Publikum unterhalten wollen und müssen.