Manuskript

Tschüss Jugendzeit!

Seit Jahrhunderten wird er gefeiert: der Abschied vom Junggesellenleben. Die Art zu feiern, hat sich aber stark verändert. Wurde früher „gepoltert“, wird heutzutage alles zum inszenierten Event.

„Es war einmal …“: So fangen viele Märchen an. „Es war einmal“, so könnte auch diese Geschichte beginnen. Nur, dass es hier nicht um Fabelwesen und sprechende Tiere, Zauberei oder tapfere Helden geht.

Es war einmal ein Ritual, das sich „Polterabend“ nannte. Ganz genau weiß niemand, wo es herkam. Aber bekannt war es in Europa seit dem Spätmittelalter. Im 19. und 20. Jahrhundert wurde es immer beliebter, vor allem in Deutschland. Meistens fand der Polterabend am Tag vor einer Hochzeit statt, manchmal aber auch schon ein oder zwei Wochen vorher.

„Gepoltert“ wurde – und wird mancherorts immer noch – mit Geschirr, Steingut und Porzellan, das nach gemeinsamem Essen und Trinken lautstark auf den Boden geschmissen wurde beziehungsweise wird. „Scherben bringen“ bekanntlich „viel Glück“, also dem Brautpaar für seine Ehe. Wo und mit wem vor der Hochzeit gefeiert wurde, weiß die Volkskundlerin Andrea Graf aus Bonn, die sich für ihre Promotion mit dem Thema „Junggesellenabschied“ befasst hat:

„Der Polterabend zum Beispiel wurde oftmals im Elternhaus zum Beispiel gefeiert, auf dem elterlichen Hof. Oder es wurde vielleicht auch eine Gaststätte gemietet. Aber es war immer, sag’ ich mal, der soziale Nahraum, der eben auch die Gäste dargestellt hat. Also es wurden Arbeitskollegen eingeladen. Nachbarn waren ganz stark in die Feier involviert.“

Dieses Ritual existierte etwa bis in die 1970er-Jahre. Gefeiert wurde mit den verwandtschaftlich und räumlich gesehen nahen Menschen, sie waren eingebunden, involviert. Und auch wenn am Polterabend einiges zu Bruch ging, war dieses Fest im Vergleich zur heutigen Zeit doch fast schon gesittet, harmlos – vor allem, wenn man sieht, was sich zukünftige Brautpaare heute alles einfallen lassen, um ihrem Junggesellendasein Lebewohl zu sagen.

Da bekleiden sich erwachsene Frauen mit riesigen Windeln oder gestandene Männer hüpfen im rosa Ballett-Tutu durch die Straßen. Beliebt ist auch die Aufgabe, Passanten Schnuller oder Kondome zu verkaufen, ein sogenannter „Bauchladenverkauf“. Hauptsache schrill, Hauptsache extrem. Und keine Verkleidung ist zu peinlich, um getragen zu werden. Stets in größeren Mengen mit im Spiel ist Alkohol in Form von Sekt, Bier oder Hochprozentigem. Sich gegenüber anderen „zum Affen zu machen“, also öffentlich mit seiner Verkleidung und groteskem Verhalten der Lächerlichkeit preiszugeben, gehört häufig zum Programm der neumodischen Junggesellen- und Junggesellinnenabschiede. Die werden übrigens nicht mehr von den Paaren gemeinsam, sondern nach Geschlechtern getrennt mit den besten Freunden und Freundinnen begangen, die dafür manchmal extra von weit her anreisen.

Häufig ist der Junggesellenabschied gleichbedeutend mit einer Kneipentour durch die nächste große Stadt. Die Spiele der alkoholisierten Gruppen werden allerdings nicht von allen Passanten und Kneipenbesuchern als lustig empfunden. So haben sich zum Beispiel in Regensburg 2017 mehr als ein Dutzend Kneipenwirte zusammengeschlossen und feiernden Junggesellen Hausverbot erteilt, um der „Olympiade der Peinlichkeiten, der Aggression und Zerstörungswut“ Einhalt zu gebieten.

Ob friedlich und munter oder penetrant und laut, wichtig ist, dass die besten Freundinnen und Freunde dabei sind. Häufig sind sie es auch, die die Feier für die Eheanwärter organisieren. Die Aktion dient der Vertiefung sozialer Bindungen in der zunehmend mobilen Gesellschaft, so Volkskundlerin Andrea Graf:

„Man könnte es deuten, dass man diesen Freundeskreis nochmal bestätigt, ’nen Freundeskreis, der sich aus Menschen zusammensetzt, also, wenn man jetzt den Junggesellen- und Junggesellinnenabschied betrachtet, wo, was weiß ich, eine Freundin, die man schon seit Kindergartentagen [kennt], dann dazukommt, jemand aus dem Studium, jemand aus dem Abitur, die Leute, die jetzt überall verteilt leben, aber die einem in bestimmten Phasen seines Lebens viel bedeutet haben, die kommen zu diesem Tag zusammen.“

Neben der Tatsache, dass die Spiele der Junggesellenabschiede immer kurioser werden, gibt es aber kaum eine gemeinsame Linie. Aus dem relativ einheitlichen Polterabend ist mit der Zeit ein bunter Tag mit vielfältigen Aktionen geworden, erklärt Andrea Graf:

„Ich denke, es hat auch damit zu tun, dass diese Traditionen im Sinne von Festen und Feiern und Bräuche zu begehen, aufgebrochen sind. Also, es ist eben pluralistischer, es ist individueller. Und diese Bräuche haben ja auch keinen sanktionierenden Charakter in der Hinsicht mehr, dass, wenn zum Beispiel die und die Personen nicht eingeladen werden, dass das ’ne Auswirkung hätte, dass man da so ’ne soziale Verpflichtung hat. Ich denke, das macht die Wahl der Feiermöglichkeit eben auch größer.

Jeder kann sich entscheiden, wie er gerne feiern möchte: Wenn wir uns den Junggesellenabschied ansehen, dann gibt es natürlich diese schon fast klassische Feierweise in Verkleidungen, mit Bauchladenverkauf und Spielen mit Passanten auf der Straße, in der Innenstadt. Aber es gibt natürlich auch Menschen, die sind gar nicht erkennbar als Junggesellen- und Junggesellinnenabschiedfeiernde. Die machen Wanderungen, die unternehmen Kanufahrten.“

Kein Wunder also, dass sich neben zahlreichen Online-Ratgebern in den vergangenen Jahren ein zunehmend breiter Dienstleistungssektor rund um die Feierfreudigen gebildet hat. Je nach finanziellen Möglichkeiten lässt sich dort alles buchen, was das Herz begehrt: vom Ballonflug über die Panzerfahrt bis zur Striptease-Vorstellung, stets auf der Suche nach dem nächsten Superlativ. Mehr und mehr sind auch Auslandsreisen gefragt – Eventprogramm inklusive, nicht selten in günstigen Ländern Osteuropas wie Ungarn oder Rumänien. Dort ist nicht nur das Quartier, sondern auch der Alkohol billiger.

Auffällig beim wachsend spektakulären Charakter des Abschieds vom Junggesellenleben ist die andere Seite: Die Ehe ist längst nicht mehr die feste Form, die eine klare Linie vorgibt, beengt und lange hält. Jede dritte Ehe wird geschieden, lebenslange Ehen sind die Ausnahme. War früher mit der Heirat ein Statuswechsel mit rechtlichen Konsequenzen verbunden, ist es heute nur noch ein ergänzendes Symbol für Menschen, die sich meist schon länger kennen. Warum also diese dramatische Vor-Hochzeitsfeier? Andrea Grafs Kollegin Gabriela Dafft erklärt sich das so:

„In Zeiten von Unsicherheit oder krisenhaften Zeiten sucht man natürlich auch Halt in Formen der Vergemeinschaftung und in Formen von festen Abläufen. Und diese Funktion erfüllen dann natürlich Bräuche auch.“

Anders ausgedrückt: Je mehr Krise, desto größer die Feiern. Und knapp könnte man das Fazit der Volkskundlerinnen so zusammenfassen: je bedeutungsloser die Sache selbst, desto stärker das Ritual. Hinzu kommt die Dynamik moderner Technik. Das Internet bietet jeder und jedem die Möglichkeit für ihren beziehungsweise seinen großen selbst inszenierten Auftritt, betont Gabriela Dafft:

„Man möchte auch Lebenswelten verwirklichen und auch nach außen dokumentieren, welcher Szene, welcher Lebenswelt man sich zugehörig fühlt. Da helfen natürlich auch aktuell und schon seit längerem die ganzen sozialen Netzwerke, wo man auch Fotos oder auch Informationen jeglicher Art posten kann. Also das Ganze kann man durchaus bewerten auch als, ja, Dokumentation des Status. “

Groß Party machen als Statussymbol  – und anschließend das Ergebnis demonstrativ über die sozialen Medien verbreiten. Da wären wir am Ende also dann doch wieder in der Märchenwelt der Fabelwesen und Magier. Und wenn sie nicht gestorben sind … dann lebt ihr schöner Schein noch heute.