Unterwegs als Katastrophenhelfer
Sie lassen alles stehen und liegen, um anderen Menschen zu helfen. Katastrophenhelfer sind mit vollem Einsatz dabei. Doch es ist wichtig, dass sie auch auf sich selbst achtgeben.
Bei Überschwemmungen, Erdbeben, Waldbränden im In- und Ausland und bei allen Unglücken, bei denen Menschen in Gefahr sind, sind sie gefragt: die Hilfsorganisationen und ihre zahlreichen hauptberuflichen, aber auch ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer. Zu den großen Hilfsorganisationen in Deutschland gehören unter anderen das Technische Hilfswerk (THW), die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und die Johanniter-Unfall-Hilfe.
Einer der hunderttausenden ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer ist Andreas. Der Elektroingenieur engagiert sich bei der Johanniter-Unfall-Hilfe. Seinen Funkmelder hat er stets dabei, damit er für die Leitstelle der Hilfsorganisation im Not- und Katastrophenfall jederzeit erreichbar ist. Für jeden Einsatz muss Andreas von seinem Arbeitgeber freigestellt werden. Die dafür zur Verfügung stehende Entscheidungszeit hängt, so Andreas, davon ab, ob es ein nationaler oder internationaler Einsatz ist:
„Das ist im lokalen Katastrophenschutz relativ kurzfristig natürlich. Für den Auslandseinsatz hat man da ’n bisschen länger Zeit – innerhalb von 24 Stunden üblicherweise.“
Passiert eine Katastrophe in der Nähe, etwa ein schlimmer Verkehrsunfall oder Flugzeugabsturz, kann Andreas im Idealfall dann alles sofort stehen und liegen lassen und sich auf den Weg machen. Da er stets mit einem kurzfristigen, nicht vorher angekündigten, Einsatz rechnen muss, ist er vorbereitet:
„Für mich bedeutet das zum Beispiel, dass ich einen Satz Einsatzklamotten und meine Schutzausrüstung einfach im Auto liegen hab – und die sind einfach immer da. Und wenn ein Einsatz kommt, dann geht man halt los.“
Damit Andreas direkt einsatzbereit ist, hat er einen Satz Einsatzkleidung, eine Grundausstattung, sowie die Schutzausrüstung im Auto liegen. Dazu gehören unter anderem Einsatzjacke und Einsatzhose, Stiefel, Handschuhe, Atemschutzmaske und ein Schutzhelm. Jeder Einsatz – egal ob im In- oder Ausland – bedeutet Teamarbeit. Und hier kommen Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensläufen und Berufen zusammen. Gerade das, meint Andreas, macht die Stärke eines Teams aus:
„Wir haben Handwerker, die dann Vorschläge machen, wie man verschiedene Probleme, die wir einfach haben, lösen können. Wir haben Spezialisten aus Krankenhäusern. Und so zieht sich das durch die ganze Gesellschaft durch, Akademiker und Nichtakademiker. Und jeder hat was Spannendes beizutragen und hat Lösungsansätze, über die [von denen] man alleine gar nicht zu träumen gewagt hätte.“
Jeder Einsatz bedeutet für die Helferinnen und Helfer eine neue Situation, besonders im Ausland, wo man sich auf eine andere Kultur einstellen muss. Man weiß nicht, was einen erwartet – auch emotional, sagt Andreas:
„Auf der Anreise denkt man da sehr darüber nach: ‚Wie werde ich dadrauf reagieren?‘ Interessanterweise ist es so, dass man erst einmal, wie man es auf den Übungen gelernt hat, wirklich sein Programm abspielt [abspult] und seinen Job erfüllt. Und diese Gedanken: ‚Was habe ich erlebt? Wie schlecht ging es den Leuten eigentlich?‘, die kommen dann, wenn so der Druck ein bisschen nachlässt.“
Wichtige Voraussetzungen für Katastrophenhelfer sind neben körperlicher Fitness und regelmäßigen Trainings psychische Stärke und Stabilität. Denn die Helfer werden häufig mit sehr viel menschlichem Leid konfrontiert. Andreas hat bei sich selbst festgestellt, dass er sich zwar vorab Gedanken darüber macht, was ihn erwarten könnte, dann aber vor Ort sein Programm abspult, das tut, was er in den regelmäßigen verpflichtenden Übungen trainiert hat. Die aktuelle Situation blendet er zunächst aus. Erst wenn der Druck nachlässt, der Auftrag zu helfen, beendet ist, hat er Zeit zum Nachdenken. Damit er nicht von den Eindrücken einer Katastrophe übermannt wird, ist etwas seiner Erfahrung nach besonders wichtig:
„In der Nachsorge, wenn man wieder zu Hause ist, dass man den Kontakt hält zu den Teammitgliedern, zu anderen Leuten, die im Einsatz waren. Und dass man noch mal zusammenkommt, den Einsatz komplett noch mal Revue passieren lässt, bespricht, was hätte besser laufen können, was hätten wir besser machen können. Aber vor allem auch ein ‚Defusing‘ macht, [so] nennen wir das. Dass man noch mal wirklich psychisch aufarbeitet: ‚Hat es mich verändert? Wie hat’s mich verändert? Was sind meine Eindrücke? Gibt es irgendwelche Eindrücke, die mich nicht mehr loslassen?‘“
Wie bei einem Patienten, der nach einer Krankheit oder einer Operation ärztlich betreut wird, zur Nachsorge muss, verhält es sich auch bei Katastrophenhelfern. Nur ist es in der Regel kein Arzt, sondern das eigene Team, mit dem man zusammen im Einsatz war. Man tauscht sich über das Erlebte aus, lässt es Revue passieren. Das geschieht in einem sogenannten Defusing, einer informellen Diskussionsrunde, die möglichst zeitnah nach einem Einsatz oder Ereignis angesetzt wird. Das ist sehr wichtig, um unter anderem eine Posttraumatische Belastungsstörung zu verhindern, eine psychische Erkrankung, die nach außergewöhnlich belastenden Ereignissen auftreten und sich etwa in Albträumen, Angstzuständen und Verfolgungswahn äußern kann.
Obwohl die Einsätze der Katastrophenhelfer oft an deren Nerven zerren, fühlt sich Andreas verpflichtet und dazu berufen, Menschen in Not zu helfen:
„Man hat gewisse Fähigkeiten, man hat gewisse Dinge trainiert. Und dann finde ich, hat man auch ’n gewissen Auftrag, das an die Allgemeinheit ’n bisschen zurückzugeben. Insofern ist das ’ne stressige und anstrengende Sache, aber auch sehr entlohnend, wenn man dann sieht, man hat ’nen Unterschied machen können, man hat irgendwie für jemand anders die Lage besser machen können. Das ist vielleicht auch so ein bisschen das, was mich antreibt, wo ich sag: ‚Ja, ist anstrengend und kostet Zeit, aber gibt einem Dinge zurück, die man sonst nicht hätte, die man sich auch nicht kaufen kann‘ – und das ist einfach schön.“