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Vereinsmeierei

Deutschland ist das Land der Vereine – ob Koch-, Wander-, Ruder- oder Karnevalsverein: Hunderttausende von Deutschen haben sich organisiert. Doch trotz der ganzen Vereinsmeierei gibt es hier und da Nachwuchssorgen.


Typisch deutsch mag so mancher denken, wenn er an die Leidenschaft der Bundesbürger denkt, sich in Vereinen zu engagieren. Die Umgangssprache hat dafür sogar das etwas abschätzige Wort „Vereinsmeierei“ geprägt. Dabei relativieren Statistiken dieses Bild, denn im europäischen Vergleich liegt Deutschland bei der Vereinsdichte nur im Mittelfeld. Aber das sind immer noch sehr viele: 600.000 eingetragene Vereine gab es 2017 laut einer Erhebung der „Zivilgesellschaft in Zahlen“ (ZiviZ). 95 Prozent von ihnen sind sogenannte Idealvereine, gemeinnützige Organisationen also, die keine wirtschaftlichen Zwecke verfolgen. Vereine gelten als Kitt der Gesellschaft, denn mehr als 90 Prozent des ehrenamtlichen Engagements finden in ihrem Umfeld statt.

Einen Verein zu bilden, ist nicht schwer. Geregelt ist das im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Voraussetzungen sind unter anderem mindestens drei Mitglieder – und sieben, wenn der Verein ins Vereinsregister eingetragen werden soll. Dann braucht man noch eine Satzung, in der die Ziele und die organisatorischen Dinge schriftlich festgehalten werden. Neben dem „eingetragenen Verein“, dem „e. V.“, gibt es weitere Rechtsformen, zum Beispiel den nicht ins Register eingetragenen Verein, den Förderverein oder den Verband, der die Interessen der ihm angeschlossenen Vereine vertritt. Dass die Freiheit, einen Verein zu gründen, letztlich ein Ergebnis demokratischer Bewegungen des 19. Jahrhunderts ist, ist nur noch den wenigsten bewusst, sagt der Soziologe Heinrich Best:

„Das war so der Zeitraum zwischen 1819 bis zur [18]’48-er Revolution, wo es dann zum Beispiel den ersten deutschen Industriellenverband gab. Vorher gab es Kooperationen, das heißt etwa die Zünfte. Aber das waren Zwangsvereinigungen, keine freien wirtschaftlichen Verbände.“

Eine Art Vorläufer der Vereine waren die Zünfte, ein Zusammenschluss von Handwerkern und Gewerbetreibenden, die bis ins 19. Jahrhundert vor allem in den Städten existierten. Heinrich Best bezeichnet sie als Zwangsvereinigungen, weil man Mitglied sein und sich ihren Regeln unterwerfen musste. Mit der zunehmenden Verstädterung und Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts kam die Zeit der deutschen Vereins- und Verbandsentwicklung. Die Grundlage dafür hatte das erste vorläufige Parlament des Deutschen Reiches, die Frankfurter Nationalversammlung, nach der Revolution von 1848 gelegt. Sie schrieb in der Verfassung persönliche und politische Freiheitsrechte fest, darunter auch das Vereinsrecht. Waren Vereine anfangs noch eher weltanschaulich orientiert, änderten sich Ziele und Inhalte mit den Jahrzehnten – immer ein bisschen abhängig vom jeweiligen Zeitgeist. Heutzutage gilt: Alles ist möglich, so Heinrich Best:

„Das ist ein unglaublich weites Feld. Es gibt eigentlich keine Aktivität legaler Art, die nicht als Verein organisiert werden kann.“

Menschen finden sich aus den unterschiedlichsten Gründen zusammen. Beispielsweise, weil sie die Liebe zu einem Hobby mit anderen teilen wollen, gern einen bestimmten Sport in Gemeinschaft treiben oder ein Brauchtum etwa in einem Schützenverein pflegen wollen. Auch ehrenamtliches Engagement oder die Förderung bestimmter Interessen, etwa in Kultur, Wissenschaft, Bildung und Erziehung, kann Triebfeder für die Gründung eines Vereins sein. Die Gründe und die Motive sind vielfältig, ein weites Feld, etwas, das man nicht genau beschreiben, erfassen kann. Manchmal allerdings gibt es Gründe, einem bestimmten Verein beizutreten, die nicht unbedingt direkt etwas mit der Vereinsarbeit zu tun haben, macht Heinrich Best an einem Beispiel klar:

„Die Kölner Karnevalsvereine sind ein ganz bedeutender Nukleus dessen, was man Klüngel nennt. Das hängt etwas damit zusammen, dass Karnevalsvereine in ihrer Mitgliedschaft eben halt eine stärker mittelständische Orientierung haben. Und das ist natürlich dann auch ein Forum, wo man neben der Geselligkeit und dem Frohsinn auch mal ans Geschäft etwa denken kann. Völlig legitim natürlich. Jede Art von Wirtschaft ist irgendwo Vetternwirtschaft – also sie basiert auf persönlichen Kontakten.“

In einem Verein kennt man sich, vertraut sich, macht Geschäfte miteinander, verschafft sich gegenseitig Vorteile: Das umfasst der Begriff „Klüngel“, der vor allem mit Köln in Verbindung gebracht wird. Wie schon die „Vetternwirtschaft“ steht er inzwischen in Politik und Wirtschaft allgemein als Synonym für die Bevorzugung von Freunden, Geschäftspartnern oder Familienmitgliedern zum eigenen Vorteil. Besonders die traditionsreichen Karnevalsvereine, in denen auch mittelständische Unternehmer aktiv sind, gelten als Forum, als ein geeigneter Ort, solche Kontakte zu knüpfen. Heinrich Best vergleicht sie mit einem Fruchtkern, einem Nukleus. Dass man eher Geschäfte mit vertrauten als mit fremden Personen macht, ist für ihn legitim, berechtigt.

Während sich Karnevalsvereine über Nachwuchs keine Gedanken zu machen brauchen, sieht das bei manch anderem Verein anders aus. Dazu gehören beispielsweise die Briefmarkensammler und Brieftaubenzüchter. Sie leiden zunehmend darunter, dass sie überwiegend ältere Mitglieder haben und den Nachwuchs nur schwer für das sehr zeitaufwendige Hobby begeistern können. Jugendliche kommen für den Züchter Hans Peter allerdings eher nicht in Frage, er hofft auf eine andere Altersgruppe:

„Jugendliche machen auf Computer und andere Spiele. Aber der Mann von, sag ich einfach, von 35 an aufwärts, besser noch von 45, den könnte man gewinnen.“

Die Jugendlichen von heute haben, so Hans Peter, andere Interessen: Sie machen unter anderem auf Computer, interessieren sich dafür. Wen man gewinnen, dazu bewegen, könnte, sich im Brieftaubenzüchterverein zu engagieren, wären Männer von 35 an aufwärts, also solche, die älter als 35 Jahre sind. Für Hans Peter ist die Brieftaubenzucht genauso interessant und vielseitig wie beispielsweise Fußball, Tennis oder der Radrennsport. Doch deren Bekanntheitsgrad und Zugkraft, meint er, sind höher:

„Mit solchen Sportarten, die so publik sind, hat man viel bessere Karten. Da hat man schon ’ne Schwierigkeit manchmal, überzeugend das darzustellen. Aber wenn ich dann ’ne Stunde Zeit habe, ob das zwei Mann oder 200 sind, die überzeug’ ich!“

Beim Werben um neue Mitglieder kommt man gegen Sportvereine nicht an. Diese haben viel bessere Karten, haben günstigere Voraussetzungen, weil sie beliebter sind. Dennoch ist Hans Peter sicher, andere für die Brieftaubenzüchtung begeistern zu können. Die Zahlen sprechen allerdings eine andere Sprache. Manche Vereine und ihre Interessen gelten als altbacken. Junge Leute interessieren sich nicht mehr für sie. Sport dagegen zieht nach wie vor Mitglieder in die Vereine – doch der Spitzenreiter findet sich in einer ganz anderen Branche: Der mitgliederstärkste eingetragene Verein in Deutschland ist der ADAC, der Allgemeine Deutsche Automobilclub.

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