Wie ein Bergdorf wieder zum Leben erwacht
Im Dorf Corippo im Schweizer Tessin wohnten nur noch einige wenige ältere Menschen – bis eine junge Familie hierhin zog und aus den alten, leerstehenden Häusern ein Hotel machte. Nun arbeiten Désirée Voitle und Jeremy Gehring als Gastwirte. Er kümmert sich um die Küche, sie ums Hotel. Die Idee kommt gut an – sowohl bei den Touristen als auch bei den Einwohnern von Corippo. Und der kleine Sohn des Paares ist seit 50 Jahren das erste Kind im Dorf.
SPRECHER:
Ernesto, zweieinhalb, ist seit rund 50 Jahren das erste Kind in dem kleinen Schweizer Bergdorf Corippo. Denn seine Eltern haben sich vor einem Jahr auf ein Wagnis eingelassen: Désirée Voitle und Jeremy Gehring helfen dabei, Corippo in ein Hoteldorf zu verwandeln. Sie betreiben eine Osteria und vermieten Zimmer in einigen der alten, verlassenen Steinhäuser. Das Dorf im Tessin hatte einst rund 300 Einwohner, heute sind es nur noch neun, inklusive Ernesto und seinen Eltern.
DÉSIRÉE VOITLE (Hotelbetreiberin):
Wir haben zufällig von diesem Projekt gehört. Es war eine Gelegenheit, etwas Gemeinsames zu machen. Anfangs waren wir gar nicht so überzeugt, aber wir wollten es trotzdem versuchen. Und es läuft ja sehr gut und geht hoffentlich so weiter!
SPRECHER:
Zehn Zimmer hat das Hotel bisher, ein sogenanntes „Albergo diffuso“, eine im Dorf verstreute Herberge. Die Gassen dienen sozusagen als Hotelflure. Die Osteria im Haupthaus als Rezeption. Désirée Voitle ist Hotelfachfrau, Jeremy Gehring Gourmetkoch.
JEREMY GEHRING (Koch):
Unsere Leidenschaft ist unser Beruf, das Hotel, die Küche, die Auswahl der Zutaten, Gastlichkeit. Das ist ein anstrengender Job, aber er macht uns auch viel Spaß.
DÉSIRÉE VOITLE:
Und wir können das auch gar nicht alles zu zweit schaffen. Wir haben Angestellte, und das bringt auch Leben hierher.
SPRECHER:
Corippo steht unter Denkmalschutz. Nur minimale Restaurierung war möglich. Die Ausstattung ist einfach, aber hochwertig. Die Zimmer heißen „Angiolina“ oder „Martino“, benannt nach ihren früheren Bewohnern, die das Dorf einst verlassen haben, weil das Leben hier oben mit Forst- und Viehwirtschaft nicht mehr rentabel war. Eine Stiftung zum Erhalt von Corippo entwickelte das Konzept für das Dorfhotel und kaufte dafür zehn der alten Häuser. Jeremy Gehring kocht in der Hotel-Osteria vorwiegend mit lokalen Produkten wie Polenta aus der Dorfmühle. Die wilde Natur rings um Corippo nördlich vom Lago Maggiore ist ein beliebtes Ausflugsziel für Wanderer und Sportler. Es ist die erste Saison im neuen „Albergo diffuso“, am Wochenende ist es ausgebucht.
HOTELGAST 1:
Eine sinnvolle Idee, Arbeitsplätze in Seitentälern zu schaffen. Ich bin auch in einer Berggemeinde aufgewachsen.
HOTELGAST 2:
Also, das finden wir sehr innovativ, und … damit die Leute auch wieder in diese Täler gehen und, ja, die Ruhe genießen, also die Landschaft.
SPRECHER:
Die wenigen Einwohner hoffen, dass das Hotelprojekt ihr Dorf wiederbeleben kann.
SILVANA DAL TIN (Einwohnerin von Corippo):
Also, es ist für mich in Ordnung. Das Hotel stört uns nicht, und sonst würde das Dorf aussterben mit der Zeit, weil, die wenigen Leute, die hier sind, sind ja auch nicht mehr jung.
SPRECHER:
Ernesto besucht jetzt einen Kindergarten im Tal, 15 Autominuten entfernt. Désirée Voitle ist froh, dass er sich im Dorf gut eingewöhnt hat.
DÉSIRÉE VOITLE:
In diesem winzigen Ort kennen sich alle, und das gefällt auch Ernesto. Er sagt: „Das ist Valentino, der trinkt Caffè macchiato!“ Und wenn wir die Treppe hochgehen, ruft er: „Ciao, Max! Ciao, Silvana!“ Er kennt alle, das ist schön.
SPRECHER:
Bald sollen noch zwei weitere Zimmer für das „Albergo diffuso“ ausgebaut werden, weil das Hotel so gut läuft, zumindest im Sommer. Es soll aber ganzjährig geöffnet bleiben. Angst vor Einsamkeit im Winter haben die Französin und der Schweizer nicht.
JEREMY GEHRING:
Im Winter wird die Osteria wichtiger sein, weniger der Hotelbetrieb. Dafür brauchen wir mehr Zeit. Wir sind ja erst am Anfang, aber wir sind zuversichtlich.
SPRECHER:
In ein abgelegenes Bergdorf zu ziehen und dafür ihr bequemes Leben im Tal aufzugeben – diese Entscheidung haben Désirée Voitle und ihre Familie bisher nicht bereut.