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Manuskript

Auf den Spuren des Rattenfängers von Hameln

Fast in der ganzen Welt kennt man die Sage vom Rattenfänger. Davon profitiert Hameln bis heute, wollen doch zahlreiche Touristen den Ort kennenlernen. Die malerische Altstadt bietet ihnen eine perfekte Kulisse.


Weltberühmt wurde die Geschichte vom Rattenfänger, weil die Brüder Grimm sie 1816 in ihrem Märchenbuch unter dem Titel „Die Kinder zu Hameln“ veröffentlichten. Ein Musikant rächte sich bitter an den Stadtvätern, der leitenden Stadtverwaltung, der heutigen niedersächsischen Stadt, weil sie ihn für seine Dienste nicht bezahlen. In mehr als 30 Sprachen wurde die Geschichte im Laufe der Jahrhunderte übersetzt. Wer sie trotzdem noch nicht kennt, kann sich vor Ort vom heutigen Rattenfänger der Stadt Hameln, dem US-Amerikaner Michael Boyer, aufklären lassen:

„Vor vielen, vielen Jahren war die Stadt Hameln geplagt von Ratten, Millionen und Abermillionen. In diese Tragödie kam ein Pfeifer, der sagte, er könnte die Stadt retten für eine gewisse Summe Geld. Die Stadtväter haben zugesagt. So spielte er auf seiner Pfeife, führte die Ratten alle in die Weser, wo sie elendig ertranken. Und dann kam er zurück. Nur die Hamelenser [ver]weigerten die Zahlungen an den Rattenfänger und er ging verbittert fort und kam [am] 26. Juni 1284 zurück. Er spielte noch mal auf. Aber diesmal kamen keine Ratten, sondern Kinder älter als vier und [eine] junge, unverheiratete [Frau]. Und sie folgten ihm zum Ostertor hinaus, 130 an der Zahl, zum Berge und da waren sie verschwunden – auf Nimmerwiedersehen.“

Seit 1994 schlüpft Michael Boyer während der touristischen Saison in das bunte Kostüm, Gewand, des Rattenfängers, um Gäste zu begrüßen und sie durch die Stadt zu führen. Er beschreibt es so:

„Sein Gewand ist in verschiedenen Farben. Bei uns ist es gelb und lila auf einer Seite, grün-rot auf der anderen – und die Beine umgekehrt –, gelbe Schuhe mit langem Schnabel, rote Mütze mit ’ner Spitze vorne, langen Fasanenfedern im Hut, Flöte in der Hand.“

Das Gewand des Rattenfängers war der Geschichte nach ziemlich bunt, der Hut mit schönen, bunten Federn eines Fasanen geschmückt, eines Vogels, der gern gejagt wird. An den Füßen trägt er sogenannte Schnabelschuhe, die ihren Namen von der auffällig langen Schuhspitze haben. Ob der Rattenfänger wirklich so aussah, ist genauso unsicher wie der wahre Kern der Sage, über den sich Wissenschaftler seit Jahrhunderten streiten. Es gibt zahlreiche Erklärungsmöglichkeiten, die alle irgendwie plausibel sind.

Ungewöhnlich ist allerdings, dass in der Sage das genaue Datum sowie die genaue Anzahl derjenigen, die die Stadt verließen, genannt werden. Historisch unbestritten ist, dass am 26. Juni 1284 wohl wirklich 130 Kinder oder Bürger, darunter die erwachsene Tochter des Bürgermeisters, aus Hameln weggingen und nie wieder zurückkamen, auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Für die Stadt mit damals 1500 Einwohnern war das ein herber Verlust.

Wahrscheinlich war der Rattenfänger einer der vielen sogenannten „Platzmacher“, Personen, die Ende des 13. Jahrhunderts durch das damalige Heilige Römische Reich zogen, den Herrschaftsbereich der deutschen Kaiser bis 1806. Sie versuchten unter anderen Bauern, Handwerker und Händler dazu zu bewegen, ihre gewohnte Heimat zu verlassen und in den Osten des Reiches zu ziehen. Dort wurde ihnen Landbesitz versprochen, für den sie nicht zahlen mussten. Diese Werber trugen häufig bunte Kleidung und hatten einen Pfeifer oder Trommler bei sich, um die Leute auf sich aufmerksam zu machen. Für diese Erklärung spricht, dass der Sage nach 130 Personen in Siebenbürgen, dem heutigen Rumänien, wieder aufgetaucht sein sollen, also mehr als 1.400 Kilometer von ihrer alten Heimat entfernt. Diese Siedlertheorie wird noch durch etwas anderes belegt, sagt die Historikerin Gesa Snell:

„Ich richte mich da nach dem Namensforscher Professor Udolph, der ganz klar herausgefunden hat, dass es im osteuropäischen Raum eine große Häufung von Namen gibt, die es auch hier in Hameln gegeben hat, so dass man ganz klar von dem Thema Ostkolonisation ausgehen kann.“

Hameln kostet die Sage vom Rattenfänger dennoch bis zum letzten Flötenton aus. Es dürfte wohl keine andere Stadt auf der Welt geben, die Ratten zu Sympathieträgern erklärt hat. So erklingt am Westgiebel des berühmten Hochzeitshauses täglich das Rattenfänger-Glockenspiel. Das Steingebäude heißt so wegen der „hohen Zeit“, also der Zeit, in der dort Feste aller Art gefeiert wurden. Im Sommer sprudeln in der Altstadt gleich zwei Rattenfängerbrunnen. Ein Touristenmagnet ist laut Harald Wanger vom örtlichen Tourismusverein, besonders das Rattenfänger-Freilichtspiel auf dem Marktplatz, das in der Regel im Mai beginnt:

„Man muss sich das so vorstellen, dass wir jeden Sonntag 12 Uhr auf der Hochzeitshausterrasse das Spiel aufführen bis einschließlich September – eine Gemeinschaft von 80 bis 100 Akteuren. Das ist ein Historienspiel, in dem sehr stilecht die Rattenfänger-Sage, so wie sie sich ereignet hat, aufgeführt wird in historischen Kostümen.“

Doch begeistern diese fantastischen Geschichten aus der Welt der Märchen und der Sagen die Leute heutzutage wirklich noch? Harald Wanger beantwortet die Frage mit einem eindeutigen ‚Ja‘:

„Das ist durchaus heute noch beliebt, nicht nur bei Kindern – da zwar besonders –, aber durchaus auch Erwachsene fühlen sich durch das Thema sehr stark angesprochen, zum Teil auch an die Kindheit, die Jugend erinnert. Es gehört sicherlich heute eine angemessene und zeitgemäße Präsentation dazu.“ Besucherinnen und Besucher bestätigen seine Einschätzung:

„Es ist halt ’ne schöne Geschichte, die von Generation zu Generation immer weitergegeben wird. / Ich kenne den Rattenfänger aus Märchenbüchern, die mir schon meine Eltern vorgelesen haben.“

Die malerische Altstadt mit ihren vielen kleinen, geheimnisvollen Gässchen, Fachwerkhäusern und üppig mit Steinmetzarbeiten verzierten Häusern im Weserrenaissancestil bietet Groß und Klein die passende Kulisse, um sich gut in die Zeit des Rattenfängers  hineinzuversetzen. Allerdings werden Besucher wahrscheinlich jedes Jahr aufs Neue mit der Ungewissheit nach Hause fahren, ob es da wirklich jemanden gegeben hat, der sich auf seine Art und Weise für einen Wortbruch rächte – oder ob es vielleicht doch eine der erfolgreichsten Falschmeldungen der Geschichte ist.

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