Frankfurts Börse im Wandel
Die Frankfurter Börse hat sich im Lauf ihrer langen Geschichte stark verändert: Marktatmosphäre und persönlicher Austausch waren früher. Heutzutage beherrscht der Internethandel das Geschehen.
Denkt man an die hessische Mainstadt Frankfurt, fallen einem mehrere Schlagworte ein: Goethe-Stadt, größter Flughafen, bedeutender Messeplatz – und nicht zu vergessen: einer der wichtigsten internationalen Finanzplätze. Denn hier haben unter anderem die Europäische Zentralbank und zahlreiche Banken aus dem In- und Ausland ihren Sitz – und die größte deutsche Börse, am Börsenplatz 4. Als Geburtsstunde der Frankfurter Wertpapierbörse gilt der 9. September 1585. Damals legten Frankfurter Kaufleute Wechselkurse für Warenhandelsgeschäfte fest. Denn ein einheitliches Währungssystem gab es im Deutschen Reich damals noch nicht. Ende des 17. Jahrhunderts begann der Handel mit Wechseln und Anleihen. 1808 wurde die Börse zu einer öffentlich-rechtlichen Institution, der Geldwechsel somit behördlich kontrolliert. 1820 wurden in Frankfurt dann erstmals auch Aktien gehandelt. Bei diesen Titeln handelte es sich um Anteile an der staatlichen Österreichischen Nationalbank. Den Börsenhandel zur damaligen Zeit muss man sich – wie Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe schildert – als „offene Sache“ vorstellen:
„Wo ganz viele Leute zusammenkamen: Anbieter, Nachfrager von diesen Titeln und welche, die da die Geschäfte zwischen vermittelt haben. Und das war ein Prozess, der im Wesentlichen so im mündlichen Gespräch – Gespräch ist ein vornehmer Ausdruck – da stattgefunden hat. Die haben sich dann zugerufen: ‚Hier kriegst du das für dies und das für jenes. Und für das und das.‘ Und so haben sich dann im Laufe der Zeit Kurse gebildet, die dann die Makler nutzen konnten, um zu sagen: ‚Das kannst du da für den Kurs bekommen und den Kurs bekommen.‘
Verkäufer und Käufer von Anteilsscheinen traten auf dem Börsenparkett ebenso in Erscheinung wie Händler, Börsenmakler. Ihre Aufgabe bestand darin, im Parketthandel die Kauf- und Verkaufsorders zu tätigen, also eine bestimmte Menge von Wertpapieren zu kaufen oder zu verkaufen. Und das geschah durch gegenseitige Zurufe, à la criée. Zunächst fanden diese Versammlungen in Frankfurt meist unter freiem Himmel – vor dem Rathaus – statt, dann in einem repräsentativen Bürgerhaus. Erst 1843 wurde ein eigenes Börsengebäude errichtet. Über Jahrzehnte florierte der Börsenplatz Frankfurt. 1879 wurde dann ein größeres Gebäude eingeweiht. Der Erste Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise ab 1929 und der Zweite Weltkrieg sorgten für ein Ende des Booms. Erst nach der Währungsreform 1948 erholte sich das Geschäft langsam wieder.
Wer den Börsensaal in den 1980er-Jahren betrat, fühlte sich beinahe ein paar Jahrhunderte zurückversetzt. Während des Parketthandels herrschte reges Treiben, lautes Rufen, wildes Gestikulieren. Kapitalmarktexperte Oliver Roth kann sich gut an diese Zeit erinnern:
„Die Geschäfte wurden damals mündlich, also per Zuruf, abgewickelt, im großen Rahmen. Millionenbeträge sind da umgegangen. Es gab aber ganz klare Regeln. Und die Menschen damals hatten einen sehr hohen Ehrenkodex und haben sich dann, wenn sie sich mal nicht einigen konnten, weil man irgendwie was falsch verstanden hatte in dem lauten Geschrei, am nächsten Tag trotzdem immer ehrenhalber irgendwie wieder geeinigt.“
Geschäfte wurden getätigt und abgeschlossen, abgewickelt, bei denen es um Millionensummen ging. Sie gingen dort um. Doch es gab eine Regel, einen Kodex, an den sich alle hielten: War ein Geschäft nicht zustande gekommen, weil jemand eine Order nicht richtig verstanden hatte, kam man einen Tag später dann doch irgendwie zusammen. Das war Ehrensache. Denn schließlich musste ja schnell entschieden werden. Auf dem Parkett herrschte eine besondere, aus heutiger Sicht betrachtet etwas unmodern, archaisch, anmutende Verständigungsmethode, so Oliver Roth:
„Es gab ’ne Zeichensprache, ’ne Handsprache, und wenn man sich gar nicht verstanden hat, dann hat man versucht, einfach am lautesten zu brüllen. Hört sich sehr archaisch an, aber es hat wirklich funktioniert. Und die Menschen haben, glaube ich, nicht viel mehr Fehler damals gemacht als heute die Computer.“
Mit dem 19. Oktober 1987, dem sogenannten ‚Schwarzen Montag‘, sollte sich für die bisherige Präsenzbörse in Frankfurt grundlegend etwas ändern. Damals büßte der Dow-Jones-Index ein Viertel seines Werts ein. Börsenexperte Fidel Helmer erinnert sich noch gut an den Tag:
„Ich kann mich erinnern, dass die Orderzettel von Kunden teilweise mit Waschkörben angeliefert wurden, und das hat natürlich schon Schweißtropfen gekostet, vor allem, weil zu diesem Zeitpunkt damals es noch keinerlei Computerunterstützung gab. Es wurde alles manuell gehandhabt. Und das war sicherlich auch der Moment, wo man massiv über die Computerisierung der Börse nachdachte, um einfach das Volumen, das auf die Börsianer zukam, zu bewältigen.“
Damals wurden die Kundenbestellungen, die telefonisch oder übers Telefax reinkamen, per Hand ausgefüllt. Angesichts der Orderflut kamen die Händler nicht mehr nach mit der Abarbeitung und Durchführung, die Verluste für Anleger waren riesig. Binnen weniger Stunden wurde weltweit fast ein Viertel des Aktienvermögens vernichtet. Dieser Crash sorgte in Frankfurt dafür, dass die elektronische Datenverarbeitung eingeführt wurde. Zehn Jahre später dann, 1997, wurde der vollelektronische Xetra-Handel eingeführt, was für alle, auch für Fidel Helmer, erst mal ziemlich gewöhnungsbedürftig war:
„Sie handeln mit einer Maschine, und Sie drücken auf einen Knopf. Und wenn Sie auf den Knopf gedrückt haben, ist das Geschäft getätigt. Also, das können Sie nicht rückgängig machen. Wenn Menschen miteinander handeln, kann man immer noch miteinander reden: ‚Oh, ich hab mich versprochen!‘ oder ‚Ich hab das falsch verstanden.‘ Oder wie auch immer. Mit der Maschine können Sie nicht verhandeln.“
Hektik, Lautstärke und Gewusel auf dem Börsenparkett waren gestern, nüchterne Betriebsamkeit gilt heute. Händler wie Oliver Roth trauern der ‚guten alten Börsenwelt‘ ein bisschen nach:
„Es war alles ein bisschen gemütlicher, ein bisschen überschaubarer. Heute verbrennt man schon schneller. Als Händler, glaube ich, kann man heute keine 30, 40 Jahre mehr diesen Job machen, weil das Tempo viel höher ist und die Pausen auch viel kürzer sind.“
Händlerinnen und Händler, die heute in Arbeitsinseln im Frankfurter Börsensaal sitzen, sind umgeben von Bildschirmen und Telefonen. Hochkonzentriert verfolgen sie die weltweite Kursentwicklung, müssen manchmal in Sekundenschnelle eine Entscheidung treffen, ihre Order an Broker weitergeben. Und das bis zu zwölf Stunden am Tag. Die Gefahr, zu verbrennen, physisch und psychisch der Aufgabe nicht mehr gewachsen zu sein, ist, so Oliver Roth, im Vergleich zu früher viel mehr gegeben. Hochleistungsrechner sorgen unter Einsatz von Algorithmen dafür, dass das bestmögliche Ergebnis erzielt wird. Da geht es um Mikrosekunden, wie Hendrik Leber von der Fondsgesellschaft Acatis schildert:
„Da gibt es eben Hochfrequenz-Handelssysteme, die schauen drauf, an welcher Börse läuft gerade welche Order. Kann ich vielleicht drei Mikrosekunden schneller sein? Und wenn wir mit unseren Brokern sprechen, dann achten die darauf, dass ich die eine Order nach London vielleicht wenige Mikrosekunden später abschicke als die in die USA, weil das Elektron über das Transatlantikkabel etwas länger braucht als das nach London.“
Angesichts dieser Entwicklung ist für jemanden wie Hendrik Leber ein physisch vorhandener Handelsplatz wie in Frankfurt inzwischen eigentlich nicht mehr notwendig:
„Die Handelsplätze sind heute auf der Welt vernetzt miteinander – in Lichtgeschwindigkeit. Das heißt, der Austausch über das Internet, der Handel über die elektronischen Medien hat eigentlich den physischen Handelsplatz von früher, wo man diskutierte und sprach und Gerüchte streute, ersetzt. Ich glaube nicht, dass der Trend sich jemals umkehren wird.“
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Manuskript
Die Frankfurter Börse ...
Der Handel an der Börse ...