Fasten aus Überzeugung
Die Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern verbringen viele Menschen mit Fasten. Und das nicht mehr nur aus religiösen Gründen. Für den einen oder anderen bedeutet es eine Selbstfindung durch Enthaltsamkeit auf Zeit.
Fasten ist in Deutschland weit verbreitet. Dabei sind viele, die fasten, gar nicht religiös. Dennoch nutzen sie die sieben Wochen von Aschermittwoch bis Ostern, um zu verzichten. An erster Stelle steht Alkohol, gefolgt von Süßigkeiten und Fleisch. Aber immer mehr Menschen lassen auch den Fernseher oder den Computer aus, ja manche schalten sogar ihr Handy ab oder nutzen Bahn und Fahrrad anstelle des Autos. Fasten in diesem Sinne ist Trend. Da stellt sich die Frage nach dem Warum? Jeder hat seine eigene Art zu fasten und seinen eigenen Grund. Wie Soltan aus Berlin. Er ist Unternehmensberater und leidenschaftlicher Jazzpianist. In der Fastenzeit isst er zwar wie gewohnt alles, was er auch sonst gerne isst. Doch Alkohol ist in diesen Wochen tabu. Egal, ob es sich um eine 0,2-Liter-Flasche Sekt, einen Pikkolo, oder ein Glas Riesling handelt, einen in Deutschland weit verbreiteten Weißwein. Soltan würde auch auf Drogen verzichten, wie Haschisch – umgangssprachlich Gras – oder sogenannte Zauberpilze, die jemanden für ein paar Stunden „high“ machen:
„Morgens kein Pikkolo, wenn’s zur Arbeit geht. Mittags kein Glas Riesling. Nachmittags kein Sherry zum Kuchen. Abends kein Bierchen nach Feierabend. Kein Wein zur Lammkeule und auch kein Cocktail zum Tanz. Würde ich normalerweise auch noch Gras rauchen und lustige Pilze lutschen, unterbliebe auch das. Ansonsten ist in meiner persönlichen Fastenzeit jenseits des Alkohols alles erlaubt, was gefällt.“
Auch der 33-jährige Immobilienkaufmann Stefan fastet – wie Soltan – nicht aus religiösen Gründen. Zwar ist er katholisch getauft und erzogen worden. Als junger Erwachsener ist er jedoch aus der Kirche ausgetreten. Stefan fastet aus eher sportlichen Gründen. Er will die sieben Wochen durchziehen, zu Ende führen, um sich selbst zu beweisen, dass er es schafft – wie ein Marathonläufer, der sein Ziel erreicht:
„Es liegt nicht am Glauben, dass ich die Fastenzeit durchziehe. Höchstens an dem Glauben an mich selbst.“
Die Gründe für die Enthaltsamkeit liegen also bei einem selbst. Der Versuch, das Leben bewusst zu leben und damit die Geschehnisse anders steuern zu können als unter Alkoholeinfluss, ist das, was Soltan während seiner Abstinenz reizt. Normalerweise würde er sich nach einer Nacht, in der er viel Alkohol getrunken, umgangssprachlich gesoffen, hat, einen Teller mit der griechischen Fleischspezialität Gyros besorgen. Dazu gäbe es mindestens ein Glas Spezi, ein Mischgetränk aus Cola und Limonade. Mit einem klaren Kopf nimmt man das Leben aber bewusster wahr. So können Bekanntschaften mit anderen Menschen einen ganz anderen Lauf nehmen, wenn man nicht betrunken ist:
„Hätte ich gestern gesoffen, würde ich jetzt noch schlafen und zum Frühstück gäb’s nachher vielleicht ‘n kleinen Gyros-Teller und ‘ne Spezi und noch ‘ne Spezi. Ich wäre aber auch gestern vier Stunden später ins Bett gegangen, das muss man ehrlicherweise auch sagen. Man hätte vielleicht auch viel Spaß gehabt mit Martini im Kopf, ‘ner halben Flasche Rotwein, diversen Litern Bier. Und vielleicht wäre ich aufgewacht neben einer Britta, einer Consuela oder Paula – was weiß ich. Was ich damit sagen möchte: Wenn man fastet, so wie ich, nur hinsichtlich des Verzichts auf Alkohol, dann nimmt man Einfluss auf Schnittpunkte von Notwendigkeiten, besser bekannt unter dem Begriff ‚Zufall‘. Man gibt seinem Schicksal eine andere Wendung.“
Stefan fastet jedes Jahr nach Karneval. Wie viele Kölner feiert auch er sechs Tage nonstop mit jeder Menge Bier. Gerade nach so einer Zeit ist der Aschermittwoch für viele Menschen ein Schnittpunkt, ein Signal, wieder bewusster zu leben, sich auf das Wesentliche zu besinnen. In so einer Zeit wird einem, so Stefan, auch ein Spiegel vorgehalten, wenn man mit angetrunkenen Freunden unterwegs ist. Da sieht man, wie man selbst drauf ist, wenn man betrunken ist:
„Dann ist es halt immer schön, wenn man sich nach Karneval einfach mal wieder besinnt und einfach mal nichts trinkt, weil dann wird einem erst mal wieder bewusst, wie oft man eigentlich Alkohol trinkt. Und man sieht sehr schnell, wie sich Freunde verhalten, die Alkohol trinken, speziell wenn man mit denen feiern geht. Es ist echt teilweise unangenehm, wenn man sich vorstellt, man ist meistens auch selber so drauf, wenn man getrunken hat.“
Während der kirchlichen Fastenzeit stößt der Fastende vielerorts auf weitaus mehr Verständnis als außerhalb der Fastenzeit. Bekannte und Freunde, der Dunstkreis, in dem man sich sonst bewegt, stempelt den Fastenden nicht als komisch und sonderbar ab. Und Bier trinken kann man notfalls auch, wenn man will, nämlich Bier ohne Alkohol – wie Soltan festgestellt hat:
„Man ist damit in diesen Tagen nicht allein, gilt in seinem üblichen Dunstkreis nicht als sonderbar. Und, nicht zu unterschätzen: Der Wirt hält auch in diesen Tagen viel alkoholfreies Bier parat. Insofern ist man auch da bestens aufgehoben.“
Alkoholfreies Bier kann seinem alkoholhaltigen ‚großen Bruder‘ nicht nur geschmacklich durchaus Paroli bieten: Es sieht es ja auch genauso aus wie ein richtiges Bier. Und so mancher Abstinenzler kann auf diese Weise unbemerkt in die Rolle des Beobachters schlüpfen. Denn wenn Leute betrunken sind, einen sitzen haben, verhalten sie sich doch anders als sonst. Stefan fühlt sich jetzt in seiner Rolle als fastender Beobachter pudelwohl:
„Beobachtend, stolz, weil ich einfach in der Zeit nichts trinke – und ich beobachte die Leute total gerne, wie die sich halt verhalten, wenn die einen sitzen haben.“
Wenn das Fasten so viel Spaß macht, so gut funktioniert und von hohem Wert für die Selbsterkenntnis ist – dann drängt sich doch die Frage auf: Warum fängt man nach dieser Zeit der Erleuchtung wieder an, die gewohnten Dinge zu tun? Die Antwort: Fasten bedeutet Verzicht auf etwas, das man gerne tut, etwas, das man mag. Die Absicht der Fastenzeit ist aber nicht, den Grundstein für einen lebenslangen Verzicht zu legen und damit eine Sucht zu vertreiben. Soltan vergleicht sein Fasten mit einem Praktikum. Dabei lernt man verschiedene Arbeitsweisen kennen. Anschließend überlegt man, was von dem Gelernten für einen selbst wichtig ist, was man für das eigene Leben mitnehmen kann:
„Das Fasten ist nicht auf lebenslange Enthaltsamkeit ausgerichtet. Ich verstehe die Fastenzeit darum eher als eine Art Praktikum. Man schaut sich das Leben der anderen mal an und guckt wie das ist, und ob man da irgendetwas für sich und das eigene Leben mitnehmen kann. Und – ja, dann is’ aber auch gut.“
Und wenn dann das erste Glas Bier wieder die Kehle herunterrinnt, ist es ein tolles Gefühl. Nach Wochen der Enthaltsamkeit schmeckt es Soltan ganz besonders gut, es ist – umgangssprachlich – der Hammer. Noch schöner aber ist etwas anderes: Das Gefühl, die eigenen Unarten, das eigene Suchtverhalten – zumindest für ein paar Wochen – besiegt zu haben:
„Das erste Glas Bier nach der langen Enthaltsamkeit ist natürlich der Hammer. Und auch das zweite Glas Bier schmeckt unglaublich gut. Das darf auch so sein, man hat sich das verdient nach diesen Wochen der Enthaltsamkeit. Man darf sich nun auch mit ein paar Kaltgetränken darüber freuen, dass einem dieses Stück gelungen ist.“