Manuskript

Weinlese: Auf die Natur kommt es an

Auch in einem so traditionsreichen Handwerk wie dem Weinbau nimmt die Automatisierung immer mehr zu. Dennoch bleibt man abhängig von den Launen der Natur, und oft muss die Weinlese weiterhin per Hand betrieben werden.

Winzer oder Winzerin zu sein, ist ein schöner Beruf. Es ist aber auch ein Beruf, der jedem, der im Weinbau tätig ist, einiges abverlangt. Winzer pflegen Weinstöcke, ernten die Weintrauben und verarbeiten sie nicht nur zu Wein, sondern auch zu Sekt oder Traubensaft. Wie die Obstbauern sind auch Winzer abhängig vom Wetter. Jedes Jahr aufs Neue hoffen sie auf günstige Wetterbedingungen für eine gute Lese, Ernte. Im Vorteil sind diejenigen, die ihre Weinstöcke in sonnigen Lagen haben, erzählt Andreas von Canal, der in der Nähe von Winningen an der Mosel ein Weingut führt:

„Je wärmer und je sonnenreicher eine Gegend ist, je mehr Sonnenscheinstunden die Rebe hat, umso günstiger sind die Anbaubedingungen. Und das ist übergreifend über alle Rebsorten. Also: Sonne und natürlich der nötige Regen dabei – da drauf kommt’s an. Das ist das Nonplusultra.“

Jeder Winzer und jede Winzerin wünscht sich beim Wetter das Nonplusultra, nämlich ein Wetter, das nicht besser sein könnte. Allerdings ist das häufig ein frommer Wunsch, wie dieser Winzer aus der Nähe von Köln erzählt:

„Viele Winzer können ein Lied davon singen, dass die Natur ihnen kurzfristig plötzlich einen Strich durch die Rechnung macht. Dass es plötzlich Gewitter gibt, dass es Hagel gibt. Einer der größten Feinde im Weinberg ist sicherlich für jeden Winzer Hagel, das rote Tuch. Vor allen Dingen kurz vor der Lese, weil dann die Weintrauben aufplatzen können, und da muss man einfach sich drauf einstellen. Wenn die Situation eingetreten ist, dann muss man sofort handeln und ruckzuck ernten.“

Von den Launen der Natur können Winzerinnen und Winzer ein Lied singen, aus eigener, leidvoller Erfahrung berichten. Denn schnell mal macht die Natur ihnen einen Strich durch die Rechnung, hindert sie an der Durchführung ihrer Pläne und macht einen Erfolg zunichte. Besonders schlimm, ein rotes Tuch, sind Gewitter und Hagel, gefrorener Regen. Um zumindest noch etwas von der Ernte zu retten, muss schnell, ruckzuck, reagiert werden. Andreas von Canal beschreibt, worauf für die Lese geachtet werden muss:

„Der Winzer geht schon Wochen vor der Weinernte durch die Weinberge, kontrolliert, misst den Zuckergehalt mit einem Refraktometer und kann dann schon sehr genau bestimmen, wann der optimale Reifegrad erreicht ist und dass die Ernte auch nicht in die Binsen geht. Der Winzer kann also die Weinernte nicht auf die Schnelle ad hoc entscheiden, sondern er muss sich doch über längere Zeit darauf vorbereiten und die Reifeentwicklung im Weinberg beobachten.“

Damit die Ernte nicht in die Binsen geht, misslingt, und die Trauben genau im richtigen Moment gelesen werden, wird regelmäßig mit einem optischen Messgerät, einem Refraktometer, der Zuckergehalt der Trauben gemessen. Dieser trägt später maßgeblich zur Qualität des Weines bei. Je höher der Zuckergehalt, desto besser ist später die Qualität des Weines. Ganz plötzliche, ad-hoc-Entscheidungen, können Winzer selten treffen. Aber nicht nur der Zeitpunkt der Ernte, sondern auch die Art und Weise, wie geerntet wird, ist wichtig. Ein Winzer wie Andreas von Canal hat seine Weinberge im Moselgebiet an Steilhängen angelegt, an extrem schräg abfallenden Teilen eines Hügels. Der Neigungswinkel liegt zwischen 60 und 80 Grad. Bekannt sind die Steillagengebiete an Mosel und Mittelrhein, dem Neckar und der Ahr. Maschinen können hier nicht zum Einsatz kommen. Das bedeutet für Andreas von Canal, dass er Erntehelfer, eine Lesemannschaft, einsetzen muss. Das hat seine Vorteile, aber auch Nachteile, wie er sagt:

„Der Arbeitsaufwand ist sehr hoch, und von daher werden bei uns auch alle Trauben noch per Hand geerntet, denn eine andere Technik wäre auch nicht möglich. Aber alle Qualität hat seinen [ihren] Preis; die Handarbeit, die wir einsetzen müssen, bringt natürlich auch hochqualitative Weine hervor.“

Die mühsame und langwierige Handarbeit hat auf der einen Seite den Vorteil, dass die Qualität der Trauben eher überprüft werden kann, als wenn Maschinen zum Einsatz kommen. Schlechte Trauben werden direkt aussortiert. Der Nachteil: Die Handarbeit verteuert das Endprodukt. Oder wie Andreas von Canal sagt: Qualität hat ihren Preis. Der Einsatz der Erntehelferinnen und Erntehelfer muss genau geplant werden. Allerdings kann das, so Andreas von Canal, auch schon mal misslingen, ins Auge gehen:

„Wenn wir mit diesem Termin Pech haben, dann kann es natürlich schon mal ins Auge gehen, und wir haben die Lesemannschaft im Prinzip schon eine Woche zu früh anrücken lassen. Aber sie werden dann teilweise mit anderen Arbeiten betraut, oder man muss einfach warten, bis die Ernte beginnt.“

Ein Ernteeinsatz kann noch so gut geplant sein: Wenn das Wetter nicht mitspielt, haben Winzer ihre Erntehelfer zu früh kommen, anrücken, lassen. Dann muss flexibel reagiert werden. Sie werden dann mit anderen Arbeiten betraut, bekommen andere Aufgaben. Für die Ernte holt sich Andreas von Canal meist ausländische Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter, was nicht immer einfach ist. Denn der Winzer muss für diejenigen, die ein Visum benötigen, dieses schon Monate im Voraus beantragen und die Arbeitszeit genau festlegen. Und das, obwohl er noch nicht weiß, wann genau geerntet werden soll. Aber das Wetter kennt eben niemand im Voraus. Jedes Jahr hoffen Winzer deshalb auf ein gutes Jahr, nicht nur vom Ertrag her, sondern auch von der Qualität. Denn gerade Qualitätsweine sind unter Weinliebhabern beliebt, so dass sie bis zur bitteren Neige getrunken werden. Was es mit diesem alten Ausspruch in Bezug auf den Wein auf sich hat, erklärt schmunzelnd Andreas von Canal:

„Der Wein schmeckt so hervorragend gut, und einige trinken ihn bis zur bitteren Neige. Das stammt aus der früheren Zeit, wo der Wein noch nicht filtriert wurde; wo man einfach am Fass immer zapfte. Und über die Zeit hat sich im Fass unten ein Depot abgesetzt, was bitter war und auch Bitterstoffe vom Saft her, noch von den Trauben her. Und wenn das ins Glas gelangte, trank man eben so lange, bis diese bittere Neige an den Lippen zu spüren war, und von daher rührt dieser alte Ausspruch noch.“

Heutzutage werden kleine Partikel, sogenannte Trubstoffe, die etwa vom Fruchtfleisch oder der Schale stammen, mit Hilfe eines Filters aus dem Wein herausgeholt. Der Wein wird filtriert. Da das früher nicht gemacht wurde, blieben diese Trubstoffe als Bodensatz am Fassboden. Es setzte sich ein Depot ab. Wurde dieser Wein dann ins Glas gefüllt, setzten sie sich im hohlen Fuß des Weinglases ab. Man „leerte den Kelch bis zur bitteren Neige“.

Manuskript