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Wo die meisten Nichtwähler leben

Früher war Duisburg-Hochfeld ein Viertel, in dem viele Arbeiter lebten. Heute wohnen hier viele arme Menschen. Die meisten von ihnen gehen nicht wählen. Gerade einmal 20 Prozent haben bei der letzten Wahl ihre Stimme abgegeben. Doch woran liegt das? Mirze Edis von der Partei „Die Linke“ muss auf die Straße gehen, um die Menschen zu erreichen.

SPRECHERIN:
Mirze Edis hat schon vor langer Zeit sein Büro auf die Straße verlegt. Der Bundestagskandidat der Linken weiß: Anders wird er hier kaum Stimmen gewinnen.

MIRZE EDIS (Bundestagskandidat der Linken):
Warum gehen die Menschen eigentlich nicht mehr wählen? Haben die ihr Vertrauen an [in] die Politik verloren?

MARGOT KINZEL (Nichtwählerin):
Ich wüsste auch gar nicht, wen ich wählen sollte, weil die tun sich alle nix.

SPRECHERIN:
Duisburg-Hochfeld im Westen Deutschlands ist der Wahlkreis mit den meisten Nichtwählern. Nur noch jeder Fünfte gab hier zuletzt bei der Kommunalwahlseine Stimme ab. Vor über 30 Jahren ging es den Menschen in der Stahlregion noch gut. Doch von den rund 20.000 Einwohnern verloren viele ihre Arbeit. Heute leben zwei Drittel von staatlicher Hilfe. Mirze Edis hat die Geschichte des Niedergangs hautnah miterlebt. Er ist in Hochfeld aufgewachsen.

MIRZE EDIS:
Wir hatten hier Jugendzentren, die zugemacht haben, Stadtbad hat zugemacht, die Freizeitparks sind nicht mehr so attraktiv, wie sie mal früher waren. Das heißt, man hat nicht mehr in diesen Bereichen investiert, und letztendlich ist es halt die Politik, die falsche Politik, die jetzt dazu geführt hat, dass die Menschen das Vertrauen an [in] die Politik so gesehen verloren haben und deshalb auch nicht mehr zur Wahl gehen.

SPRECHERIN:
400 Haushalte, ungefähr 2000 Menschen kommen hier jede Woche zur „Tafel“ – einem Verein, der gespendete Lebensmittel verteilt. Arbeitslose, Einwanderer, Armutsrentner bekommen hier vieles, was sie sich so nie leisten könnten.

FRAU 1:
Sechs Kinder, ohne Schwein.

SPRECHERIN:
Die Mitarbeiter verstehen gut, warum hier kaum einer wählen geht.

GÜNTER SPIKOFSKI (Die Tafel Duisburg):
Arme Leute haben andere Sorgen, als zu wählen. Und ich glaube, dass sich die Politik und die Menschen immer weiter voneinander entfernen. Jemand, der sich heute darum Sorge machen muss, wie er denn seinen Kühlschrank gefüllt bekommt, den interessiert nicht mehr, ob die SPD oder die CDU oder wer auch immer regiert.

SPRECHERIN:
Wen man auch hier anspricht: Die Enttäuschung über die Parteien ist groß. Arme wie sie seien auch nur selten Thema der großen Politik.

FRAU 2:
Keiner fragt die normalen Leute. Die entscheiden selber, was die wollen. Und da bin ich enttäuscht.

FRAU 3:
Ich hab immer gewählt und gemacht und getan und hinterher hat man nur noch bezahlen dürfen. Nee, also, ich geh nicht mehr wählen.

SPRECHERIN:
Hinzu kommt: In Duisburg Hochfeld leben fast 70 Prozent Einwanderer. Selbst wer von ihnen die deutsche Staatsbürgerschafthat, geht selten zur Wahl.

MIRZE EDIS:
Es ist für mich auch sehr, sehr schwierig, diese Menschen für Politik zu gewinnen und auch dazu zu bewegen, dass sie halt auch zur Urne gehen und dann halt ihre Stimme abgeben, weil sie überhaupt gar kein Vertrauen an [in] das politische System haben.

SPRECHERIN:
Mirze Edis will nicht, dass nur die Gebildeten und Reichen wählen gehen. Deshalb wird er in seinem Viertel noch viel unterwegs sein müssen, um die Menschen hier wieder für die Demokratie zu gewinnen.

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