Manuskript

Wohnen im Dresdner Plattenbauviertel

Zu DDR-Zeiten galten sie als schick, danach verfielen sie und entwickelten sich – wie in Dresden – zu sozialen Brennpunkten: Plattenbausiedlungen. Verschärft wurde die Situation durch die Unterbringung von Flüchtlingen.


Vieles an der sächsischen Landeshauptstadt Dresden ist konservativ. Die prachtvollen barocken Bauten der historischen Altstadt, einige davon wiederaufgebaute Kriegsruinen, prägen das Stadtbild und das Image. Den negativen Ruf der Region hat aber auch der Rechtsextremismus geprägt, Demonstrationen der rechtsgerichteten Pegida sowie Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Demgegenüber stehen Menschen, die mit zahlreichen Aktionen versuchen wollen, das Image der Rechtspopulismus-Hochburg loszuwerden und für eine offene, multikulturelle Gesellschaft zu werben. Ein Beispiel ist die Aktion ‚Dresden is(s)t bunt‘, ein gemeinsames Essen mit Menschen unterschiedlichster Kulturen und einem Begleitprogramm im Zentrum der Stadt.

Dresden ist eine Stadt der Paradoxe. Nur acht Minuten Autofahrt trennen eine Villensiedlung von dem Gebiet ‚Prohlis‘ im Südosten der Stadt. Zu DDR-Zeiten wurden hier Plattenbauten errichtet, die von fünf bis vereinzelt zu 17 Etagen haben. Damals, in den 1970er und 1980er Jahren, galten die Gebäude als schick. Die mehr als 3000 Wohnungen in der Siedlung waren modern ausgestattet. Sie hatten einen hohen Standard für DDR-Zeiten. Heute blättert der Putz von den Wänden, viele Menschen sind arbeitslos. Die Siedlung ist zu einem sozialen Brennpunkt geworden. Die Situation verschärfte sich, als 2015 und 2016 eine hohe Zahl an Flüchtlingen nach Deutschland kam und Wohnraum benötigte. Auch in Dresden wurden Flüchtlinge in leeren Wohnungen untergebracht:

Michael, der in der Siedlung aufwuchs und selbst mal in einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge gearbeitet hat, erinnert sich an die Zustände dort:

„Viel darf ich jetzt dazu nicht sagen, aber ich kann bloß sagen, dass von außen, was man auch gesehen hat, es gab total viel Stress, viel Rumgeplärre, wir mussten auch öfters mal eingreifen, laut werden, uns quasi immer ’ne Stufe über diejenigen stellen, die dort gewohnt haben.“

Die allgemeine Atmosphäre in der Unterkunft hat Michael als unangenehm empfunden: Häufig wurde herumgeschrien, es gab Geplärre, Menschen stritten sich, es gab total viel Stress. Ihn ärgert sehr, dass Migrantinnen und Migranten in seiner alten Siedlung untergebracht werden:

„Die Beschaffungskriminalität und so was steht bei denen ganz oben mit. Das ist, andere Leute zu beklauen, andere Leute zu verprügeln, die Mentalität von denen ist ja auch ganz anders. Also ich persönlich bin auch der Meinung, dass sie so ’n Teil mit von Gewalt mit aufgezogen worden sind. Dass das bei denen quasi alltäglich ist.“

Michaels Einstellung ist rechtsnational und rassistisch. Er bringt eine ganze Gruppe von Menschen mit einem bestimmten Verhalten in Verbindung, das für ihn durch eine andere Mentalität, durch angeborene Denk- und Verhaltensmuster, zu erklären sei. Die Atmosphäre ist seiner Ansicht nach so aufgeladen, dass andere einfach verprügelt, stark geschlagen würden, weil die Migrantinnen und Migranten selbst Gewalt erfahren hätten. Als weitaus schlimmer stuft Michael die Beschaffungskriminalität ein, kriminelle Handlungen wie das Stehlen, Klauen von Geld, um Drogen kaufen zu können. Es steht ganz oben, an erster Stelle. Unzufriedenheit, Unmut,  unter den Bewohnerinnen und Bewohnern der Plattenbau-Siedlung herrscht aber auch aus einem anderen Grund, wie Carmen meint, die mit ihrer Familie seit ein paar Jahren in der Koitschgraben-Siedlung lebt:

„Da gibt’s auch viele Deutsche, die ’n Unmut haben auf die Ausländer, weil: die Wohnungen werden neu gemacht. Wir wohnen in alten Wohnungen, die noch den Standard von DDR-Zeiten haben, also von vor 30 Jahren, 40, 50, 60 Jahren. Und dann sieht man: ‚Aha, nebenan zieht jemand ein und kriegt alles neu gemacht.‘ Und da gibt’s eben viele, die dann eben schimpfen: ‚Warum kriegen die alles neu und wir nicht?‘ Ja, es ist halt so, ne, muss man sich mit abfinden.“

Zwar ist Carmen unzufrieden mit der Ungleichbehandlung, meint aber, dass man sich ja letzten Endes damit abfinden, es hinnehmen, akzeptieren muss. Denn, so erzählt sie, zieht jemand aus, kommt gleich der Eigentümer aus dem Westen Deutschlands, lässt die Wohnung renovieren und vermietet sie dann für deutlich mehr Geld. Im Jahr 2004 kaufte die jetzige Vonovia, Deutschlands größte private Vermietungsgesellschaft, der Stadt Dresden ihren gesamten kommunalen Wohnungsbesitz ab und stieg damit zum größten Vermieter in der sächsischen Landeshauptstadt auf.

Carmen gehört zu denjenigen in der Siedlung, die den Migrantinnen und Migranten positiv gegenüberstehen. Vor allem auf dem Kinderspielplatz der Siedlung fällt das auf, wie sie sagt:

„Jetzt wird’s immer bunter. Man sieht’s so an den Kindern, die hier spielen. Ja, es ist schön. Ist ’ne Bereicherung, für manche eben nicht, ja. Es gibt auch viele, die sich beschweren.“

Dass in dem Gebiet der Plattenbausiedlungen „Prohlis“ etwas geschehen muss, ist den Stadtentwicklungsplanerinnen und -planern bekannt. Im sogenannten „Integrierten Stadtentwicklungskonzept“, das unter dem Motto „Zukunft Dresden 2025+“ steht, wird das Gebiet als einer von insgesamt 17 Schwerpunkträumen genannt, in dem – wie es heißt – die gesetzten Ziele „dringlich anzugehen“ sind. Dazu gehören, mehr für die soziale Integration zu tun und eine lebendige Nachbarschaft zu befördern, in welcher „der soziale Zusammenhalt aller Bewohnerschichten mit den verschiedenen nationalen Wurzeln gelebt wird.“

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