Manuskript

Zeigt her eure Füße

Die Blütezeit der deutschen Schuhindustrie ist lange vorbei. Schuhe werden überwiegend im Ausland produziert. Das Schuhmuseum in Hauenstein, dem „Schuhdorf“ in der Pfalz, führt zurück in alte Zeiten.


Wenn die Rede auf die Pfalz im südwestlichen Deutschland kommt, denken die meisten an leckere Weine. Dafür ist die Region berühmt, Weinbau ist hier der wichtigste Wirtschaftszweig. Die Deutsche Weinstraße, die sich zwischen Hügeln voller Weinreben entlang schlängelt, gilt als einer der bekanntesten Touristenmagnete Deutschlands. Dass die Pfalz, insbesondere die Städte Pirmasens und das rund 24 Kilometer entfernt liegende Hauenstein, aber auch mal das Zentrum der deutschen Schuhindustrie war, wissen nur die wenigsten. Für Aufklärungsarbeit sorgt das 1996 eröffnete Deutsche Schuhmuseum in Hauenstein. Auf vier Etagen und einer Ausstellungsfläche von circa 3000 Quadratmetern können die Besucher in die Welt der Schuhe und ihrer Produktion eintauchen und Schuhe Prominenter und den nach eigenen Angaben größten Schuh der Welt bestaunen.

1886 wurde in Hauenstein, einer Siedlung, in der damals überwiegend Bauern und Holzarbeiter lebten, eine eigene Schuhfabrik gegründet: ein Zulieferbetrieb für Fabriken in Pirmasens. Beim Rundgang durchs Museum erfahren die Besucher, dass sich das auf die Holzindustrie auswirkte:

„Die verarbeitende Industrie mit Holz ging dann zurück, weil man halt in der Schuhfabrik gearbeitet hat. Die Waldarbeiter, natürlich, die hat man immer noch gehabt. Waldarbeiter braucht man ja. Und die haben natürlich die guten Schuhe, die da hergestellt wurden, halt auch im Wald angezogen.“

Waldarbeiter gehörten zu den besten Kunden, weil sie festes Schuhwerk benötigten. Mancher von ihnen sattelte aber auch um und arbeitete dann selbst in der Fabrik. Die an eher eigenständiges Arbeiten gewohnten ehemaligen Waldarbeiter mussten sich allerdings an veränderte Arbeitsbedingungen gewöhnen, erzählt eine Mitarbeiterin des Museums:

„Das ist so ’ne Stechuhr, da hat man dann seine Lochkarte hineingesteckt, hat dann draufgedrückt, dann war [hat] die Uhrzeit da gestanden. Wenn man dann fertig war mit seiner Arbeit, ist man wieder hergegangen, hat die Karte wieder reingesteckt – und hat so viel bezahlt gekriegt.“

Eine ganz schöne Umstellung für die Waldarbeiter: In der Holzernte wurde bis Mitte der 1930er-Jahre überwiegend nach Stücklohn bezahlt, also nach der Menge des geschlagenen Holzes. In der Fabrik hingegen wurde die Zeit entlohnt, die jemand gearbeitet hatte. Kontrolliert wurden Arbeitsbeginn und -ende damals mittels einer Lochkarte, einer Karte, in die Löcher gestanzt wurden, wenn man sie in eine Stechuhr steckte, ein Gerät, das mit einem Uhrwerk verbunden ist.

Mit den Jahren wuchs die Schuhindustrie rund um Pirmasens und Hauenstein immer stärker. Konnten die Menschen in der Region früher darauf zählen, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben, änderte sich das nach 1970 allerdings schlagartig. Die Schuhproduktion in Deutschland geriet in eine tiefe Krise – vor allem wegen der ausländischen Konkurrenz, denn in Ländern wie China waren die Arbeitslöhne niedriger. Tausende Menschen wurden entlassen, zahlreiche Fabriken wurden geschlossen. Willy Schächter, der 20 Jahre lang als Vorsitzender der Stiftung Deutsches Schuhmuseum das Museum in Hauenstein auf- und ausbaute, erzählt, dass damals einiges schieflief:

„Man hat vielleicht den einen Fehler gemacht, dass man glaubte, Schuhe seien das Maß aller Dinge. Und man hat praktisch alles dann auch über einen Leisten schlagen wollen und hat geglaubt: Schuhe und nochmals Schuhe, aber nichts anderes. Und das war sicherlich verkehrt, dass man die Monoindustrie nicht aufgelockert hat.“

Die deutsche Schuhindustrie hat damals die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Sie dachte, ihre Schuhe seien das Maß aller Dinge, das Wichtigste, Bedeutendste. Es entstand eine Monoindustrie, ein Industriezweig, der sich allein auf ein einziges Produkt konzentrierte. Man schlug alles über einen Leisten, beurteilte alles gleich. Der Leisten ist das hölzerne Modell eines Fußes, das der Schuster zur Fertigung eines Schuhs benötigt. Für jeden Schuh und für jede Größe bedarf es eines eigenen Leistens. Benutzt der Schuster nur einen Leisten, so entstehen nur Schuhe gleicher Größe. Nach Ansicht von Willy Schächter war das verkehrt, nicht richtig. Notwendig wäre es gewesen, auch andere Geschäftsfelder zu erschließen, um die Monoindustrie aufzulockern.

Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums gingen in Deutschland seitdem sowohl die Schuhproduktion als auch die Zahl der Beschäftigten um etwa 87 Prozent zurück. Nur etwa fünf Prozent der rund 400 Millionen Paar Schuhe werden noch in Deutschland hergestellt. Zu diesen Produzenten gehört auch Carsten Moch, der in Bielefeld in dritter Generation einen Schuhmacherbetrieb führt. Das Geschäft übernahm er von seinem Vater. Seitdem konzentriert er sich auf die Anfertigung orthopädischer sowie handgenähter schicker Maßschuhe für Männer und Frauen. Und dabei kommt gelegentlich auch eine alte Nähmaschine zum Einsatz, die nach Erfahrungen von Carsten Moch so ihre Vorteile hat:

„Die neuen modernen Nähmaschinen, die können zwar geradeaus nähen, aber so wenn’s um kleine Details geht, da sind die alten einfach besser drauf. Haben wahrscheinlich die größere Reife. Wir stehen hier direkt eigentlich vor unserem ältesten Schätzchen. Die ist bestimmt so, ich sag mal, aus den 30er-, 40er-Jahren ist die und wird heute aber noch genutzt. Sie hat ’ne Säule, so dass man auch in einen Stiefelschaft damit nähen kann.“

Weil alte Nähmaschinen immer noch gut nähen, gut drauf sind, wie Carsten Moch sagt, benutzt man sie immer noch gern. So wie ein altes Schätzchen, etwas Liebgewonnenes, das schon sehr alt ist. Mochs Nähmaschine zeichnet sich durch ein säulenartiges Metallstück unter dem sogenannten Arm aus, an dem die Nähnadel befestigt ist. Diese Säule bietet die Möglichkeit, einen Schaft, den Teil eines Stiefels, der Wade und Knöchel bedeckt, zu nähen.

Obwohl die Pfalz nicht mehr den Stellenwert als das deutsche Schuhzentrum schlechthin hat, sind hier Ausbildungsstätten wie die Deutsche Schuhfachschule und das Internationale Schuhkompetenz Centrum in Pirmasens beheimatet. Und Hauenstein gilt als Deutschlands größtes „Schuhdorf“. Dort finden sich neben dem Schuhmuseum die sogenannte Schuhmeile, ein Outlet für Schuhe – auch made in Germany –, und das Familienunternehmen Josef Seibel, das im 19. Jahrhundert mal als Zulieferbetrieb angefangen hat. Gegründet am 1. April 1886, gehört es inzwischen zu den deutschen Unternehmen, die den Strukturwandel in der Schuhindustrie geschafft haben. Und eins ist klar: Schönes Schuhwerk kommt nie aus der Mode. Wie heißt es doch so schön in einem alten Kinderlied: „Zeigt her eure Füße, zeigt her eure Schuh.“

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