Manuskript

Zwei Stasi-Opfer berichten

Ilona Seeber und Silke Orphal sind in der DDR aufgewachsen. Da sie mit der Politik des ostdeutschen Staates nicht einverstanden waren, wollten sie das Land verlassen. Doch in der DDR war das nur möglich mit der offiziellen Erlaubnis des Staates. Die Stasi, der DDR-Geheimdienst, ließ die beiden Frauen über Jahre beobachten und brachte sie fast ins Gefängnis. Jahrzehnte später lesen sie ihre Akten – in denen ihr Alltag genau beschrieben wird.

ILONA SEEBER/SILKE ORPHAL (frühere DDR-Bürgerinnen):
Bei Herrn Seiler?   

SILKE ORPHAL:
Oh Gott, oh Gott, und denn?

SPRECHER:
Silke Orphal und Ilona Seeber vor dem Haus, in dem sie in Berlin gemeinsam gelebt haben. Als sie hier in jungen Jahren wohnen, ist ihr Leben alles andere als Privatsache. Vom Treppenhaus gegenüber beobachten die Spitzel der Stasi, des DDR-Geheimdienstes, sie durchs Küchenfenster. Früher hatte man von hier noch ungehinderte Sicht.

REPORTER:

Haben Sie denn gesehen, wie die Stasi-Leute hier gestanden haben?

ILONA SEEBER/SILKE ORPHAL:
Nee!  

ILONA SEEBER:
Das hatte ich erst … also ich zumindest erst gelesen.

SILKE ORPHAL:
Da wären wir im Leben nicht draufgekommen.

ILONA SEEBER:
Glaub ich auch, ja. Dass die hier standen und so ...                        


SILKE ORPHAL:
Da standen sie auch immer direkt …

SPRECHER:
Sie wissen es aus ihrer Stasi-Akte: ein paar hundert Blatt Papier, abgefangene Briefe, private Post, amtliche Schreiben und vor allem: Berichte der Spitzel.

SILKE ORPHAL:
Am 30.04.80 um 7 Uhr Observation am Wohnort aufgenommen. In der Küche brannte Licht und das Fenster war halb geöffnet. Circa 50 Minuten später wird das Licht gelöscht und die Seeber verlässt allein die Wohnung und begibt sich zu Fuß in Richtung U-Bahn Samariterstraße. Jemand hat in mein Leben geguckt, und ich hatte keine Ahnung davon. Und hat auch mich als Person beschrieben aus seiner Sicht, die nicht besonders freundlich war.

ILONA SEEBER:
Es ist da, aber ich leb damit. So, und ich hab so die Erfahrung gemacht, dass man immer gut durchs Leben kommt oder besser fährt, wenn man mit ’ner Gegebenheit lebt.

SPRECHER:
Warum wurden die beiden als junge Frauen überwacht? Sie kamen aus der Provinz, finden hier in der Hauptstadt eine gut bezahlte Arbeit als Schreibkräfte beim Neuen Deutschland, dem Zentralorgan der Staatspartei SEDausgerechnet. Aber: Sie wollen raus aus der DDR. Ab 1976 stellen Silke Orphal und Ilona Seeber immer neue Ausreiseanträge – mit immer derselben Begründung.

ILONA SEEBER:
Ich zweifle an der Glaubwürdigkeit dieses Staates, da ich es am eigenen Leib zu verspüren bekommen habe, wie wenig die Menschenrechte in der DDR geachtet werden.

SPRECHER:
Der Nachwende-Generation müssen die beiden erklären, warum sie Kopf und Kragen riskiert haben, um die DDR zu verlassen.

ILONA SEEBER:
Ich will raus, ich will mir nicht vorschreiben lassen, wer bestimmt, dass ich hier lebe.

SILKE ORPHAL:
Das hab ich noch nie eingesehen. Also, das war schon vorher irgendwie, dass ich mich damit nicht einverstanden erklären konnte. Und da habe ich gedacht, nee, also, ich will raus. Ich will die Freiheit.

SPRECHER:
Beinahe wären sie dafür im Gefängnis gelandet.

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