Manuskript

„Beethoven gibt’s nur einen“

Der 1770 in Bonn geborene Pianist und Komponist Ludwig van Beethoven gehört weltweit zu den bekanntesten Deutschen. Wie aber war seine Persönlichkeit, wie sein Wesen?


„Er war kreativ, unbequem, revolutionär, warmherzig und humorvoll. Er war ständig verliebt gewesen, war auch ’n bisschen cholerisch. Die Helene von Breuning, so ’ne Art von Ersatzmutter für ihn in Bonn, hat immer gesagt: ‚Er hat jetzt seinen Raptus‘. Diesen Begriff hat Beethoven später immer selbstironisch verwendet: ‚Nehmt mich nicht so ernst. Ich hab’ mal wieder meinen Raptus gehabt.‘“

Stephan Eisel, Politik- und Musikwissenschaftler und Vorsitzender des Bonner Vereins „Bürger für Beethoven“, umreißt mit ein paar Adjektiven einige Wesenszüge des 1770 in Bonn geborenen Komponisten. Seinen Humor bewies er unter anderem mit manchmal ironischen Wortspielen. Er konnte aber auch cholerisch sein, sehr schnell wütend werden. Der Musiker hatte dann seinen „Raptus“, einen Wutanfall. Das war die scherzhafte Bezeichnung, die Helene von Breuning für Beethovens Verhalten fand. Sie hatte sich nach dem Tod seiner Mutter 1787 um ihn gekümmert. 1792 verließ er Bonn Richtung Wien, wo er 1827 auch starb. Der Komponist war sehr eigenwillig, für andere unbequem, jemand, der sich nicht anpasste. Beethoven war aber auch gern unter Menschen, war gesellig. Zu Bonner Zeiten traf man ihn meist in seiner Stammkneipe „Zehrgarten“– nicht nur, weil dort über Politik und mehr diskutiert wurde. Er hatte auch ein Auge auf die Wirtstochter geworfen. Und verliebt war er sehr oft, vor allem allerdings in Adelstöchter, und nur für kurze Zeit – und immer mit einem unglücklichen Ende. Das hatte, so Eisel, einen bestimmten Grund:

„Er hätte sich gerne eingelassen, aber das lag eben an den Standesunterschieden zwischen Adligen und Bürgerlichen. Er war ständig verliebt, aber immer in Adelstöchter. Und eine Heirat zwischen einer Adligen und einem Bürgerlichen war damals tabu gewesen. Das ist einer der Gründe, warum Beethoven dann auch nie verheiratet gewesen ist.“

Beethoven trägt zwar ein „van“ im Namen, was jedoch kein Hinweis auf eine adlige Abstammung ist, sondern so viel bedeutet wie „herstammend aus“. Zur damaligen Zeit wurde eine dauerhafte Bindung, gar Heirat, zwischen einer Adligen und einem Bürgerlichen gesellschaftlich nicht akzeptiert. Sie war tabu. Und häufig waren es Adlige, auf die er sich gern eingelassen hätte, mit denen er sich eine Liebesbeziehung gewünscht hätte. Ungeklärt bleibt allerdings weiterhin, wer die „Unsterbliche Geliebte“ ist, an die er einen sehr bewegenden Liebesbrief schrieb, der mit der Formel endet: „Ewig dein, ewig mein, ewig uns.“

Beethoven lebte in einer Zeit des Aufbruchs, dem Zeitalter der Aufklärung und der Französischen Revolution. Er setzte sich sehr dafür ein, alle Menschen gleich zu behandeln, hatte ein gespaltenes Verhältnis zur adligen Gesellschaft. Die Adligen trugen zwar maßgeblich zu seinem Lebensunterhalt bei, doch er ließ sich nicht alles von ihnen bieten, wie zwei Anekdoten zeigen:

„Wenn er zu einem seiner Förderer gesagt hat: ‚Fürsten gibt es viele. Beethoven gibt’s nur einen.‘ Oder es gibt auch die Begebenheit, wo er mit Goethe zusammen in der Kur gewesen ist, und es kommt eine adlige Postkutsche und Goethe tritt zur Seite und verneigt sich vor den Adligen, und Beethoven bleibt auf dem Weg und sagt: ‚Ich hab genauso das Recht, hier diesen Weg zu benutzen wie ein Adliger, und ich muss nicht zur Seite treten, wenn einer kommt.‘“

Einem seiner wichtigsten Gönner, dem Fürsten Karl von Lichnowsky, widersetzte sich Beethoven einmal, weil dieser ihn zwingen wollte, vor einem Publikum zu spielen, das ihm nicht gefiel. Er verließ wutentbrannt den Raum und machte später in einem Brief an den Fürsten deutlich, dass dieser nur durch seine Geburt eine bedeutende Person sei, er selbst jedoch wegen seiner Musik. Ähnlich verhielt es sich im Sommer 1812 bei dem Kuraufenthalt in Teplitz im heutigen Tschechien, wo er anders als Goethe unbeeindruckt stehen blieb, als eine Kutsche mit Adligen vorbeifuhr.

Diese eigenwillige Einstellung spiegelt sich auch in seiner Musik wider. Hier beschritt der Pianist und Komponist für seine Zeit völlig neue Wege, so Stephan Eisel:

„Er war musikalisch gesehen ein Revolutionär. Er hat also alles, was an Regeln der Zeit existierte für die Komposition auf den Kopf gestellt, durchbrochen. Er war als Pianist völlig ungewöhnlich, einer, der ständig auf der Suche nach Neuem war. Also Beethoven war kein Musiker mit Scheuklappen, sondern ein sehr interessierter Mann.“

Beethoven war, wie er selbst einmal schrieb, an allem Neuen interessiert. Er saugte Wissen auf wie ein Schwamm, studierte Philosophen wie Kant und beschäftigte sich mit den Werken Schillers und Goethes. Für seine eigenen Kompositionen befasste er sich auch mit der lateinischen Sprache, der Liturgie, der Geschichte und der antiken Sagenwelt. Beethoven war, so Stephan Eisel, kein Komponist mit Scheuklappen, jemand, der nur eine Sicht der Dinge kannte. Zwar hatte er manche Lehrer, war aber weitgehend ein Autodidakt. Er analysierte Kompositionen anderer und entwickelte etwas Eigenes, war ein musikalischer Revolutionär, stellte Regeln auf den Kopf, änderte sie von Grund auf. So wählte er beispielsweise gern kurze Motive mit hohem Wiedererkennungswert und eingängigen Melodien. Oder er setzte – wie in der neunten Sinfonie – einen Chor ein, was damals völlig neu war. Außerdem war Beethoven in der Lage, Emotionen wie Liebe, Wut, Humor und Trauer in seiner Musik darzustellen. Der Komponist Karlheinz Stockhausen sagte über Beethovens Musik, sie habe eine so breite Skala, dass irgendwo jeder sich selber erlebe. Beethoven formulierte das so: „Von Herzen – möge es wieder zu Herzen gehen.“

Einen Einschnitt in seinem Leben und eine Wesensänderung stellte für Beethoven seine Ertaubung dar. Mit gerade mal 30 Jahren bemerkte er, dass er immer schlechter hörte, langsam taub wurde. Damals dachte er sogar über Selbstmord nach, nachzulesen im 1802 verfassten „Heiligenstädter Testament“:

„Ich will mir das Leben nehmen – nicht wegen der Musik, dass ich als Musiker jetzt eingeschränkt bin, sondern weil die Menschen mich für arrogant halten. Sie sprechen mich an. Ich reagiere nicht. Ich bin doch den Menschen eigentlich zugewandt und kann das nicht mehr leben. Das ist die erste Hälfte dieses Briefes und die zweite Hälfte ist: Aber ich hab noch so viel Musik im Kopf. Ich will noch weiterleben, weil diese Musik, die bei mir im Kopf ist, die will ich noch zu Papier bringen. Daran will ich die Menschen teilhaben lassen.“

Anfangs versuchte Beethoven seinen Krankheitszustand noch geheim zu halten, denn, so Stephan Eisel:

„Man darf ja nicht vergessen: Taubheit war damals eben auch soziale Isolation. Man konnte nicht einfach irgendwo hingehen und mit Leuten kommunizieren. Er hat sich dann auch sozial zurückgezogen.“

Auf andere wirkte der Komponist mürrisch und arrogant, so, als ob er sich für besser hielte als andere. Er zog sich immer mehr zurück, fand Ruhe bei langen Spaziergängen in der Natur. Seine Taubheit behinderte ihn jedoch nicht in seiner Schaffenskraft. Er selbst soll seine Arbeit mit einem Gemälde verglichen haben, das er in Gedanken male.

Und wie wäre Beethoven, wenn er in der heutigen Zeit leben würde? Stephan Eisel meint:

„Wenn er heute leben würde, würde er andere Musik schreiben. Musik, die von den Erkenntnissen der Zeit geprägt ist. Er würde die Leute auch aufregen, auch ärgern, weil er sich nicht an den Konventionen orientiert hat. Er würde sich für Menschenrechte und Freiheit einsetzen. Das sind ja zeitlose Grundwerte. Beethoven könnte heute die Menschen dazu ermutigen, sich in ihrer Verschiedenartigkeit zu akzeptieren, nicht mit Vorurteilen einander zu begegnen, sondern mit Offenheit und ohne den Drang, dass jeder so sein muss wie der andere.“

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