Manuskript

Ist die Arbeitsmoral der Deutschen gesunken?

Die Deutschen haben den Ruf, sehr fleißig zu sein. Doch die Zahlen der OECD behaupten etwas anderes: Demnach arbeiten Deutsche viel weniger als andere. Sind sie faul geworden?


International gilt der Deutsche als Arbeitstier. Doch nun bringen Daten der OECD dieses Bild ins Wanken: Im Jahr 2022 hat der durchschnittliche Deutsche nur 1340 Stunden gearbeitet. Das liegt deutlich unter dem Durchschnitt der Europäischen Union mit 1570 Stunden und ist weit entfernt von 1810 Stunden in den USA. Sieht es mit der Arbeitsmoral der Deutschen so schlecht aus?

Nein, sagt Arbeitsmarktexperte Enzo Weber: „Die Zahlen bedeuten … nicht, dass in Deutschland weniger gearbeitet wird. Ganz im Gegenteil, es wird mehr gearbeitet.“ Wie kann das sein? „Deutschland hat eine sehr hohe Frauenerwerbsquote im Vergleich zu den meisten anderen Ländern“, erklärt er. Sie liegt bei 77 Prozent. Doch Frauen arbeiten häufig in Teilzeit, und das drückt die durchschnittliche Jahresarbeitszeit pro Person nach unten.

Tatsache ist allerdings, dass die Deutschen gern weniger arbeiten möchten. „Ich glaube, alle wollen möglichst viel Freizeit und hohe Gehälter haben”, so Enzo Weber. Ein Wunsch, den auch schon frühere Generationen hatten. Doch die Lebensmodelle der Deutschen haben sich verändert: Oft arbeiten beide Partner und brauchen daher mehr Flexibilität. „Jeder sollte frei wählen können, in welchem Lebensabschnitt er wie viel arbeitet", meint Weber daher.

Wie aber passt der Wunsch, weniger zu arbeiten, mit dem Wunsch zusammen, den Wohlstand im Land zu sichern? Laut Enzo Weber muss die Produktivität erhöht werden: durch Fortbildungen und mehr Digitalisierung. Außerdem müssen Deutsche ohne Schul- oder Berufsabschluss und Migrantinnen und Migranten für den Arbeitsmarkt fit gemacht werden, um etwas gegen Fachkräftemangel zu tun. Ob das klappt, wird die Zukunft zeigen.