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Freiheitskämpfer und Überlebenskünstler

Mikhail Bushuev
8. Oktober 2021

Der Friedensnobelpreis geht auch an den russischen Journalisten Dmitri Muratow. Seine Geschichte ist die eines Kampfes für die Meinungsfreiheit - und ist begleitet von dem Verlust vieler Mitstreiter.

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Journalist und Friedensnobelpreisträger: Dmitri Muratow, Herausgeber der Zeitung Novaya Gazeta
Journalist und Friedensnobelpreisträger: Dmitri MuratowBild: picture-alliance/dpa/E. Biyatov

Im heutigen Russland grenzt es fast schon an ein Wunder, dass Dmitri Muratow immer noch die Redaktion der unabhängigen Zeitung "Nowaja Gaseta" leitet - und nicht umgebracht, ins Exil gedrängt oder zu einem "ausländischen Agenten" erklärt wurde. Denn das ist schon vielen seiner Zunft passiert. "Wir werden uns mit dieser Auszeichung für den russischen Journalismus stark machen, den man jetzt zu unterdrücken versucht. Wir werden den Leuten helfen, die zu Agenten erklärt, verfolgt und aus der Heimat gedrängt werden", sagte Muratow am Freitag, nachdem das norwegische Nobelkomitee bekanntgegeben hatte, dass er zusammen mit der philippinischen Journalisten Maria Ressa den Friedensnobelpreis erhält.

Der 59-Jährige wurde im sowjetischen Kujbyschew, heute Samara, geboren. Im Jahr 1993 wurde er Mitgründer und Herausgeber der "Nowaja Eschednewnaja Gaseta", die heute kurz "Nowaja Gaseta" heißt. Seit 1995 führt er die "Nowaja Gaseta" fast ununterbrochen und verteidigt so, wie das Nobelkomitee feststellte, "seit Jahrzehnten unter immer schwieriger werdenden Bedingungen die Meinungsfreiheit in Russland". Sein Verdienst und seine Rolle in der jüngsten Geschichte der russischen Medien versteht man nur, wenn man weiß, was die Worte des Nobelkomitees konkret für Muratow bedeuteten: Mindestens fünf Journalisten seiner Zeitung wurden seit 2000 ermordet, das prominenteste Beispiel war Anna Politkowskaja.

Der Preis gilt auch Anna Politkowskaja und anderen

Am Vortag der Entscheidung in Oslo jährte sich die Ermordung der russischen Journalistin zum 15. Mal. Offiziell ist das Verbrechen verjährt, doch das will Dmitri Muratow nicht akzeptieren: "Wir werden keine Verjährungsfrist anerkennen." Die Auftraggeber bleiben offiziell unbekannt. Die "Nowaja Gaseta" fordert weitere Ermittlungen und wirft den russischen Behörden vor, aus politischen Gründen kein Interesse an einer Aufklärung des Falls zu haben.

Große Porträts von Anna Politkowskaja waren vor dem Redaktionsgebäuder der "Nowaja Gaseta" am 15.Jahrestag seit der Ermordung der Journalistin zu sehen | Jahrestag Mord an Anna Politkowskaja
Große Porträts von Anna Politkowskaja hingen vor dem Redaktionsgebäude der "Nowaja Gaseta" am 15. Jahrestag der Ermordung der JournalistinBild: Maksim Blinov/Sputnik/dpa/picture alliance

Die "Nowaja Gaseta" und Muratow persönlich versuchen, Erinnerungen an Politkowskaja wachzuhalten, daher gilt der an Muratow verliehene Preis posthum auch ihr. Indirekt gilt er allen Journalistinnen und Journalisten, die, wie sie, über Missstände in Tschetschenien geschrieben haben und später verfolgt oder ermordet wurden, wie Natalja Istemirowa, die 2009 umgebracht wurde. Seit 2017 wird "Nowaja"-Autorin Jelena Milaschina aus Grosny massiv bedroht - weil sie über außergerichtliche Hinrichtungen homosexueller Menschen und andere Verbrechen dort geschrieben hat. Die "Nowaja Gaseta" sieht sich mit immer neuen Drohungen und Angriffen aus der russischen Kaukasusrepublik konfrontiert - auch in diesem Jahr, als der tschetschenische Herrscher Ramsan Kadyrow den Chefredakteur und seine Mitstreiter persönlich angriff und sie "Agenten ausländischer Geheimdienste und keine Journalisten" nannte. Eine Drohkulisse ist Muratows ständiger Begleiter.

"Nowaja Gaseta" mehrmals vor dem Aus

Der Mitbegründer und Herausgeber der "Nowaja" Muratow dürfte kaum Sympathien in der regierenden Elite in Russland genießen: Er unterschrieb einen offenen Brief gegen die russische Einverleibung der ukrainischen Halbinsel Krim im März 2014 und unterstützte die Protestbewegung in Belarus seit der dortigen Präsidentschaftswahl im August 2020.

Den Friedennobelpreis bekommt nun auch einer, der gesagt hat: "Ich weiß, ich kann mich nur auf meine eigenen Kräfte verlassen." Immer wieder musste sich Muratow persönlich für seine Leute einsetzen. So machte er sich bei deutschen Diplomaten dafür stark, dem usbekischen Ex-Kollegen Ali Ferus die Ausreise nach Deutschland zu ermöglichen, damit er aus Russland nicht nach Usbekistan abgeschoben wurde, wo ihm Folter drohte. 

Muratow sagt heute, die Zeitung habe mehrmals vor dem Aus gestanden - nach personellen Verlusten, aber auch nach finanziellen Problemen. "Wir arbeiten seit 1993 und glauben es selbst kaum", schreibt die "Nowaja" auf ihrer Seite. Heute funktioniert die Zeitung als eine nichtkommerzielle Organisation und ist auf Spenden angewiesen.   

Muratow ist übrigens nicht der einzige Mensch, der Bezug zur "Nowaja Gaseta" hat und mit einem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde: Anteile an der Zeitung hat auch der frühere Präsident der UdSSR Michail Gorbatschow.