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Von Spielführern und Kriegstreibern

Marko Langer Kommentarbild App PROVISORISCH
Marko Langer
25. Februar 2022

Ja, jetzt sind sie alle mit dabei im Chor der Empörten über den russischen Überfall auf die Ukraine, die Sportfunktionäre und Spitzensportler. Das ist schön, aber reichlich spät und damit auch bigott, meint Marko Langer.

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Eröffnungsfeier | Olympische Winterspiele 2022 | Peking, China
Wladimir Putin bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Peking Bild: Carl Court/Getty Images

Es ist im Sport selten eine gute Idee, nur abzuwarten, was andere tun. Nun gut, Griechenland ist mit einer eher defensiven Strategie einst 2004 Fußball-Europameister geworden. Aber sonst? Keine gute Idee, nur abzuwarten! Den Super-Bowl gewinnt man so zum Beispiel nicht.

Was das mit der UEFA-Entscheidung in Sachen Champions-League-Finale und Russland zu tun hat? Eine ganze Menge. Denn nicht nur die Europäische Fußball-Union, zu viele Sportverbände und Vereine weltweit haben nun so lange abgewartet, bis es weh tut, was den Umgang mit Potentaten und undemokratischen Herrschern angeht. Legendär ist immer noch der Satz von Franz Beckenbauer, dass er auf den WM-Baustellen in Katar keinen einzigen Zwangsarbeiter gesehen habe. Er sagte wörtlich sogar "Sklaven" und unterstrich, die liefen "alle frei rum". Vielleicht waren einige praktischerweise vorher weggestorben, wenn ich hier einmal zynisch werden darf.

Gar nicht mitbekommen?

Praktisch wäre das, weil so das Zusammenspiel mit den Putins und Xi Jinpings und Orbans dieser Welt leichter wird und es auch einfacher macht, die Kohle einzustecken, die man für die Kriegs-, pardon, Spielmaschine nun einmal braucht. Ach, Gazprom ist ein russischer Staatskonzern? Und der russische Herrscher sperrt Menschen wahllos weg und überfällt Staaten, wie es ihm gefällt? So was aber auch, haben wir ja über die Jahre gar nicht mitbekommen.

Fast wäre man versucht zu sagen, dass vor diesem Hintergrund der russische Einmarsch in die Ukraine auch eine heilsame Wirkung hat. Heilsam deshalb, weil man schlicht nicht mehr wegschauen kann, wenn man ein Kanonenrohr vor der Nase hat. Da ist es doch viel schöner, demnächst in Paris als in St. Petersburg zu spielen. Danke dafür!

Nichts ist mehr unpolitisch!

Man könnte wütend werden über die Selbstverständlichkeit, mit der Sportfunktionäre wie zum Beispiel IOC-Chef Thomas Bach die jungen Menschen den Diktaturen regelmäßig als willfährige Geiseln anbietet. Es gehe nur um den Sport, und der sei unpolitisch? Nichts, meine Herren (meistens sind es ja Männer auf den Spitzenposten des Sports), nichts ist mehr unpolitisch. Und in Zeiten des gar nicht mehr nur Kalten Krieges schon gar nicht.

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Marko Langer, DW-SportredaktionBild: Sarah Ehrlenbruch

Vielleicht sind jetzt nicht alle Sportlerinnen und Sportler so entschieden wie zum Beispiel Sebastian Vettel, der zum inzwischen abgesagten Formel-1-Rennen in Sotschi schlicht und richtig sagte: "Ich finde es falsch, in diesem Land zu fahren." Doch wenn die anderen Sportskameraden nicht entschieden sind und sich Vettels Haltung nicht anschließen mögen, hier die Warnung: Aus Spielführern können blitzartig Kriegstreiber werden.

"Was wollt ihr von mir?"

Der Schriftsteller Klaus Mann hat mit "Mephisto" einmal einen großartigen Roman über das Zusammenspiel von Erfolg und faschistischer Macht geschrieben. In der Verfilmung mit Klaus-Maria Brandauer gibt sich die Hauptfigur Hendrik Höfgen als Theaterstar den Nazis hin, um sich den Erfolg zu sichern. In der Schlussszene des Films irrt er durch das Berliner Olympiastadion und ruft: "Was wollt ihr von mir? Ich bin doch nur ein Schauspieler."

Da haben die Faschisten längst den Suchscheinwerfer auf ihn gerichtet. Den Athleten im Berliner und anderen Stadien dieser Welt sei gesagt: Den Höfgen gab es wirklich in Deutschland. Er hatte Erfolg, ja. Aber unschuldig am Grauen war er nicht.